Quantcast
Channel: Gedenkort-T4.eu
Viewing all 200 articles
Browse latest View live

Graue Busse – Rote Busse

$
0
0

Aufnahme von Pfarrer Alois Dangelmaier vom 2. 10.1940. Die Feststellung der Identität der Opfer durch das „Pflegepersonal“ ist auf dem Foto ebenso erkennbar wie die bürokratische Abwicklung der Transporte. Auffälliger Weise gibt es die gleiche Aufnahme häufig in der Farbgebung schwarz/weiß, ohne dass Bezug auf die Farbaufnahme genommen wird. Quelle: Archiv der Stiftung Liebenau

Kaum ein Begriff hat sich in Forschung und Gedenkkultur zum systematischen Mord an Menschen mit seelischen und körperlichen Einschränkungen während der Zeit des NS derart verselbständigt wie jener der „Grauen Busse“.

  Dies, da viele Opfer der „Aktion T4“ mit Omnibussen((Der Transport erfolgte keineswegs nur mit Bussen, sondern auch mit Zügen der Reichsbahn. Zunächst sollten die Opfer prioritär mit der Reichsbahn zu den Orten der Vernichtung verbracht werden, was sich aus unterschiedlichsten Gründen nicht realisieren ließ. Dazu: Vernehmung Richard von Hegener im Heyde-Prozess HHStaWi Abt. 631a Nr.405 (alt: Ks66) Bl. 10.)) der Reichspost in die sechs, im Deutschen Reich eingerichteten Tötungsanstalten verbracht wurden. Die Busse der Reichspost und Kraftpost waren jedoch seit dem Jahr 1933 rot und nicht grau. Es waren Maßnahmen des Luftschutzes, die dazu führten, dass sämtliche Omnibusse im staatlichen Überlandverkehr mit einem grün-grauen Tarnanstrich versehen wurden. Darunter auch die von der Reichspost zum Zwecke des Krankentransports zur Verfügung gestellten Fahrzeuge.   [caption id="attachment_10612" align="aligncenter" width="300"]Aufnahme von Pfarrer Alois Dangelmaier vom 2. 10.1940. Die Feststellung der Identität der Opfer durch das „Pflegepersonal“ ist auf dem Foto ebenso erkennbar wie die bürokratische Abwicklung der Transporte. Auffälliger Weise gibt es die gleiche Aufnahme häufig in der  Farbgebung schwarz/weiß, ohne dass Bezug auf die Farbaufnahme genommen wird.  Quelle: Archiv der Stiftung Liebenau Aufnahme von Pfarrer Alois Dangelmaier vom 2. 10.1940. Die Feststellung der Identität der Opfer durch das „Pflegepersonal“ ist auf dem Foto ebenso erkennbar wie die bürokratische Abwicklung der Transporte. Auffälliger Weise gibt es die gleiche Aufnahme häufig in der Farbgebung schwarz/weiß, ohne dass Bezug auf die Farbaufnahme genommen wird. Quelle: Archiv der Stiftung Liebenau[/caption]   In der öffentlichen Wahrnehmung sowie der Gedenkkultur ist eine nahtlose gedankliche Verbindung entstanden, die Farbgebung der vermeintlich „Grauen Busse“ in den (naheliegenden) semantischen Kontext der von Seiten der Täter unternommenen Verschleierung und Geheimhaltung der Mordtaten zu stellen. Dieser assoziative Konnex ist jedoch falsch. Die Tarnung durch den grün-grauen Anstrich hatte einzig das Ziel, Fahrzeuge und die als Begleitung eingesetzten Täter vor Luftangriffen der Alliierten zu schützen. Der in der Reichskanzlei als Materialbeschaffer für die „T4“ tätige Richard von Hegener (( Richard von Hegener, (1905 -1981) war im Jahr 1932 Mitglied der NSDAP geworden. In der Reichkanzlei war er u.a. für die Beschaffung der Medikamente und des Gases zur Ermordung Kranker sowie für die „Kinderfachabteilungen“ zuständig. Hegener wurde im Jahr 1952 zu lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt und 1956 entlassen. Klee, Ernst. Das Personenlexikon zum Dritten Reich 3. Aufl. 2011 S. 237.)) äußert sich hierzu am 9. Mai 1960 im Heyde-Prozess und erklärt, warum die Organisatoren vom ursprünglichen Plan der Nutzung des Reichsbahnverkehrs als Transportmittel absahen und weswegen die Wahl auf die im Straßenbild der 30er Jahre allseits bekannten Omnibusse fiel:
„Da es … Schwierigkeiten wegen des Eisenbahnpersonals und in der Zurverfügungstellung von Wagen, wie auch beim Umsteigen, gab“ wurde beschlossen, „die kurzen“ Fahrten „zu den Zwischenanstalten mit Omnibussen durchzuführen. Die Bereitstellung der Omnibusse durch die Post habe ich erwirkt, weil ich gute Beziehungen zum Postminister ((Karl Wilhelm Ohnesorge (1872-1962) vgl. http://www.deutsche.biographie.de/sfz73283.html)) hatte. Die Omnibusse wurden äußerlich zunächst nicht mit einem Tarnanstrich versehen. Sie wurden vielmehr mit dem roten Außenanstrich und der RP-Nummer benutzt; erst nach der Hälfte der Aktion wurden sie – ebenso wie die Reichspostomnibusse – mit dem grauen Tarnanstrich (Luftschutz) versehen. Es hätte ja gar nicht in unserem Sinne gelegen, diese Omnibusse für ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit besonders kenntlich zu machen und herauszustellen.“((Aussage Richard von Hegener am 9. Ai 1960 im Prozess gegen Werner Heyde HHStaWi Abt. 631a 405/a (alt: Ks/66) S. 10.))  
Die Verschleierung der Mordtaten erfolgte also dadurch, dass sich die zum Transport der Opfer eingesetzten Fahrzeuge nahtlos in das öffentliche Erscheinungsbild der damaligen Fahrzeugflotte der Reichspost bzw. des Kraftpostverkehrs einfügten. Demnach handelte es sich um eine umgekehrte Form der „Tarnung“ durch explizite, geradezu erwünschte Unauffälligkeit im Straßenbild. Die Zuschreibung „Graue Busse“ als gegenwärtiger sprachlicher Code für die der Reichspost zugehörigen Transportfahrzeuge der „Aktion T4“ ruft Assoziationen des Fremden, Unbekannten, vielleicht auch Furchteinflößenden hervor und bewirkt somit die Kappung der Verbindungslinien von den damals Verantwortlichen zu den heute noch bestehenden Nachfolgeinstitutionen. Im heutigen öffentlichen Nahverkehr gibt es keine grauen Busse mehr, der Anlass für die Umfärbung ist weggefallen. Somit besteht die Gefahr, dass die Gegenwärtigkeit der noch vielerorts nicht aufgearbeiteten „Euthanasie“ – Morde in einen künstlichen Erinnerungsraum verschoben wird, der die naheliegende und greifbare Verbindung in den heutigen öffentlichen Raum, nämlich die im Überlandverkehr vielfach eingesetzten roten Busse der verschiedenen Verkehrsgesellschaften, ausblendet.   [caption id="attachment_10614" align="aligncenter" width="300"]Omnibus im überregionalen ÖPNV in Hadamar Ortsmitte Foto: Hartmann-Menz Omnibus im überregionalen ÖPNV in Hadamar Ortsmitte Foto: Hartmann-Menz[/caption]   Aus historisch-kritischer Perspektive ist die Begrifflichkeit „Graue Busse“ kaum zu halten. Dies auch, weil sich die Täterinnen und Täter eines perfiden Sprachcodes bedienten, der den Mord an den Schwächsten der Gesellschaft verklausulierte, beschönigte und in das ideologische Konzept der NS-„Euthanasie“ einzupassen versuchte, um so die vermeintliche Legitimationsgrundlage für den Massenmord zu schaffen. In bewusster Abkehr davon sollte Sprache als Instrument der Aufarbeitung bereits in sich dem Ziel einer präzisen und schonungslosen Offenlegung von Täter und Strukturen verpflichtet sein. Viele staatliche, institutionelle und private Mittäter waren wissentlich und in Kenntnis der Morde in die „Aktion T4“ involviert. Neben den unmittelbaren Tätern zählen hierzu Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden, Rentenanstalten, Versicherungen sowie jene, die die „T4“ technisch-organisatorisch ermöglichten. In allen diesen Bereichen, auch bei der Reichspost und der Reichsbahn, gab es nach 1945 personelle Kontinuitäten und eine stillschweigende Übereinkunft der Nicht-Anerkennung von Verantwortung. In der Begrifflichkeit „Graue Busse“ bleibt die Reichspost als maßgebliche Mittäterin beim hunderttausendfachen Krankenmord außen vor. Die Zurverfügungstellung der Transportmittel seitens der Reichspost, ob rot oder in Tarnfarbe, war ein zentrales Element in der Struktur des Mordapparates. Die Reichspost stellte nicht nur Fahrzeuge, sondern auch umfassende technische und logistische Infrastruktur sowie einen Decknamen der für den Transport der Opfer genutzten Omnibusse zur Verfügung. Die wissentliche Mittäterschaft der Reichspost und ihrer lokalen Dienststellen beim Krankenmord ist unabweisbar:
„Wenn mir zur Kenntnis gebracht wird, daß ein österreichischer Zeuge erklärt hat, zu Beginn der Euthanasieaktion sei ihm mitgeteilt worden, er gehöre als Kraftfahrer nun zu der Staffel von Hegener, so habe ich ihm zu erwidern: diese Bezeichnung existierte. Genau hieß es „Sonderstaffel von Hegener“. Anfänglich hatten wir fast ausschließlich Fahrzeuge von der Reichspost. Der Reichspostminister hatte mir eine Bescheinigung des Inhalts ausgestellt, daß die in der Bescheinigung genau bezeichneten Fahrzeuge in jeder Reparaturwerkstatt der Deutschen Reichspost bevorzugt repariert werden konnten. Es hätten sich Schwierigkeiten ergeben können, weil ja diese Fahrzeuge während des Einsatzes bei der T4 nicht von Postbeamten, sondern von Zivilisten gesteuert wurden. In dieser Bescheinigung war die Bezeichnung „Sonderstaffel von Hegener“ geprägt worden. Die Fahrzeuge unterstanden der Gekrat. Diese trat aber nach außen hin nicht in Erscheinung, infolgedessen war für die Postfahrzeuge von der Staffel von Hegener die Rede.“ ((HHStaWi JS 16a/63GStA Bl. 6.))
  [caption id="attachment_10615" align="aligncenter" width="300"]Ein Bus der „Gekrat“ - mit dem typischen weißen Streifen unterhalb der Fenster. Dadurch  (trotz schwarz/weiß Aufnahme) wird dieser als tatsächlich roter Omnibus identifizierbar. Quelle: Landesarchiv NRW Ein Bus der „Gekrat“ - mit dem typischen weißen Streifen unterhalb der Fenster. Dadurch (trotz schwarz/weiß Aufnahme) wird dieser als tatsächlich roter Omnibus identifizierbar. Quelle: Landesarchiv NRW[/caption]     Betrachtet man die Farbfotografie von Alois Dangelmayer (s.o.) wird deutlich, dass die Szene erst mit dem historischen Wissen um den Sachverhalt der „T4“ ihre Brisanz erhält. Täterinnen und Täter agierten bewusst mit dem Alltagsbild der bekannten Omnibusse; auch um die Opfer zu täuschen. Dies verfehlte seine Wirkung nicht. Viele Opfer glaubten, eine „Spazierfahrt“(( Roer, Dorothee, Henkel Dieter (Hg.) Psychiatrie im Faschismus. Die Anstalt Hadamar 1933-1945 (1986) S. 87. )) zu unternehmen, wenn sie in eine Tötungsanstalt verlegt wurden. Immerhin bestiegen sie ja ein Transportmittel, dessen Anblick ihnen aus dem Alltag geläufig sein konnte. Die Terminologie „Graue Busse“ hat gegenwärtig noch keinen Eingang in den Duden gefunden. Infolge der Breitenwirkung des „Denkmals der Grauen Busse“ ((Lilienthal, Georg. Gaskammer und Überdosis. Die Landesheilanstalt Hadamar als Mordzentrum (1941-1945) In: Hadamar Heilstätte-Tötungsanstalt-Therapiezentrum. Hg. George, Uta, Lilienthal Georg, Roelcke Volker, Sander Peter, Vanja Christina (2006) S. 156 ff.)) ist es nicht auszuschließen, dass diese historisch unscharfe Bezeichnung eine allumfassende Zementierung in Gedenkkultur und Forschung erfährt. Bisher finden sich noch Hinweise auf die parallele Verwendung der Begrifflichkeiten „Gekrat-Bus“ und „graue Omnibusse“((Weimer, Erhard. Chronik der Gemeinde Elz (1982) S. 100)). Aus der Zeit der „T4“- Morde stammt der Begriff definitiv nicht. Im Umfeld der lokalen mündlichen Überlieferung nahe der Mordanstalt Hadamar ist von „Mordkisten“ und einmal gar von „blauen Bussen“ die Rede.   Der Begriff „Mordkiste“ scheint vom Limburger Bischof Antonius Hilfrich aus der mündlichen Tradition aufgegriffen und im Jahr 1941 erstmals verschriftlicht ((Protestschreiben des Limburger Bischofs Antonius Hilfrich wg. „Euthanasie“ vom 13. August 1941. HHStaWi Abt. 461 Nr. 32061 Bd.6.))  worden zu sein. Eine der frühesten lokalen literarischen Quellen (1948) zum Krankenmord auf dem Hadamarer Mönchberg erwähnt die Reichspost-Busse so, wie sie im allgemeinen Straßenbild, ob rot oder in Tarnfarbe, wahrgenommen wurden: „Langsam näherte sich ein Omnibus von der Faulbacher Straße her, polterte auf die Brücke.“((Mathi, Maria. Wenn nur der Sperber nicht kommt (1954) S. 267 f. Zur Autorin sei anzumerken, dass sie, obwohl gebürtig aus Hadamar und in der Region verwurzelt, während der Zeit des Krankenmordes nicht dort, sondern am Bodensee lebte. Allerdings stand sie fortwährend im brieflichen Kontakt mit dem Freundeskreis in Hadamar und kann somit als authentische Chronistin der Geschehnisse in ihrer Heimatstadt gelten. Erst im Jahr 1948 kam sie besuchshalber in den Ort ihrer Kindheit und Jugend, um dort das Material für ihren Roman zu sammeln. Dieser spielt in Hadamar und hat literaturgeschichtlich lokale Bedeutung. Der literarische Gehalt steht hinter der historischen Relevanz mit Blick auf das Entstehungsjahr 1948 weit zurück. In die lineare, sich über drei Generationen erstreckende Handlung bindet die Autorin reale Geschehnisse und Personen mit fiktionalen Elementen zusammen und thematisiert als erste Autorin die Morde auf dem Hadamarer Mönchberg. )) Eine 1961 veröffentlichte, auf „authentischen Dokumenten und wahren Begebenheiten“ basierende Erzählung trägt den Titel „Die Mordkiste von Hadamar“((Hermann, Alfred. Die Mordkiste von Hadamar (1961) Ruhr-Verlag Dortmund 46 Seiten. )) und greift damit die lokale mündliche Überlieferung auf. Im Spiegel-Artikel „Die Kreuzelschreiber“ (19/1961) wird der Begriff „Mordkiste“ unter Bezug auf Antonius Hilfrich verwendet, und in Christa Wolfs Werk „Kindheitsmuster“ (1976), einem der bekanntesten literarischen Zeugnisse zum Krankenmord ist von „mit Tüchern zugehängten Omnibussen“((Wolf, Christa. Kindheitsmuster (1976) S. 260.)) die Rede. Der erste Chronist der „Euthanasie“-Verbrechen, Ernst Klee, verweist mit dem Begriff „Reichspost-Busse der Gekrat“((Klee, Ernst. „Euthanasie“ im Dritten Reich (1983) Neuauflage 2014 S. 130.)) klar und eindeutig auf die politisch Verantwortlichen der Zurverfügungstellung von Infrastruktur für den hunderttausendfachen Mord an Menschen mit seelischen und körperlichen Beeinträchtigungen. Im Rückblick auf die politischen Debatten zur angemessenen Terminologie bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit („Vergangenheitsbewältigung“ versus „Aufarbeitung“) ((Adorno, Theodor. Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit. In: Gesammelte Schriften (1959) Bd. 10 (1977) S. 555-572. Und: Aufklärung statt Bewältigung. Tondokumente zur Berichterstattung von Axel Eggebrecht über den ersten Auschwitz-Prozess. Stiftung Deutsches Rundfunk-Archiv (2011). )) fällt auf, dass der politisch brisante Begriff „Reichspost-Busse der Gekrat“ in Forschungsliteratur und Gedenkkultur Gefahr läuft, hinter der auch sprachlich leichtgängigeren Begrifflichkeit „Graue Busse“ zu verschwinden. Cui bono? Eine Fragestellung, die in der gegenwärtigen Phase der vielerorts erst beginnenden personellen und strukturellen Aufarbeitung der „T4“ – Morde fortwährend im Blick zu behalten ist. Martina Hartmann-Menz, April 2015

Sa., 13.6., 11: 00 Führung zu Orten der Organisation des Krankenmordes in Berlin

$
0
0

Orte der Organisation des Krankenmordes in Berlin auf einem Stadtplan von 1936.

In Berlin wurde ab 1939 der Mord an Kranken und Behinderten organisiert. Die Führung geht zu Orten der Planung der NS-“Euthanasie“-Verbrechen: Die Tiergartenstraße, der Potsdamer Platz, die Neue Reichskanzlei und die Wilhelmstraße werden als Tatorte und Orte der Täter erkundet.   Treffpunkt ist um 11:00 am Gedenk- und Informationsort für die Opfer der NS-"Euthanasie"-Morde. Wir freuen uns über Spenden.   [caption id="attachment_9426" align="aligncenter" width="300"]Orte der Organisation des Krankenmordes in Berlin auf einem Stadtplan von 1936. Orte der Organisation des Krankenmordes in Berlin auf einem Stadtplan von 1936.[/caption]

Links 18

$
0
0

Ergänzungen gerne als Kommentar.

 

TV-Beitrag am 20.7.2015: Ich wäre so gerne heimgekommen. NS-Euthanasie im “Dritten Reich”

 

75. Jahrestag der Beginn der Morde in Pirna-Sonnenstein

 

Wer waren die Opfer der Tötungsanstalt Hadamar? Vortrag von Martina Hartmann-Menz am 25.6. um 18.00 in der Stadthalle Limburg

 

Wanderausstellung über die Tötungsanstalt Hartheim im Jüdischen Museum in Eisenstadt eröffnet. Zu sehen bis zum 26.10.2015.

 

Ein Spielfilm über Ernst Lossa, der in der Anstalt Irrsee ermordet wurde, wird momentan in und um Augsburg gedreht.

 

Schloss Grafeneck, ehemalige Tötungsanstalt und jetziger Sitz einer NS-”Euthanasie”-Gedenkstätte, soll verkauft werden.

 

Besucherrekord in der Gedenkstätte Brandenburg/Havel – wegen der Bundesgartenschau werden die Öffnungszeiten verlängert

 

Kirchenvertreter erinnerten mit einer Veranstaltung im Deutschen Historischen Museum an ihre Verantwortung für die Krankenmorde im Dritten Reich

 

 

 

 

.

 

 

 

„Euthanasie“ – ein guter Tod? Nach- und Auswirkungen in der DDR

$
0
0

„Bundesarchiv Bild 183-1990-0125-035, Berlin, Demonstration von Behinderten“ von Bundesarchiv, Bild 183-1990-0125-035 / Zimmermann, Peter / CC-BY-SA. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-1990-0125-035,_Berlin,_Demonstration_von_Behinderten.jpg#/media/File:Bundesarchiv_Bild_183-1990-0125-035,_Berlin,_Demonstration_von_Behinderten.jpg

Wir freuen uns, im Folgenden einen Text von Dr. Ilja Seifert zu dokumentieren. Er diskutiert mit den Nach- und Auswirkungen der NS-"Euthanasie in der DDR ein wenig beachtetes Thema und zeichnet so auch den Weg zu den aktuellen Auseinnandersetzungen um das Teilhabegesetz nach.   [caption id="attachment_10992" align="aligncenter" width="300"]„Bundesarchiv Bild 183-1990-0125-035, Berlin, Demonstration von Behinderten“ von Bundesarchiv, Bild 183-1990-0125-035 / Zimmermann, Peter / CC-BY-SA. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-1990-0125-035,_Berlin,_Demonstration_von_Behinderten.jpg#/media/File:Bundesarchiv_Bild_183-1990-0125-035,_Berlin,_Demonstration_von_Behinderten.jpg Demonstration vor dem Kino International „Bundesarchiv Bild 183-1990-0125-035, Berlin, Demonstration von Behinderten“ von Bundesarchiv, Bild 183-1990-0125-035 / Zimmermann, Peter / CC-BY-SA. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons -[/caption]   Neubau-Wohnungen, die auch für Menschen gut nutzbar sind, die sich im Rollstuhl fortbewegen, waren bis in die beginnenden 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in der DDR unbekannt. Einer derjenigen, die das änderten, war Ulrich Ringk, ein verhältnismäßig kleiner Mann mit schlohweißem Haar. Er arbeitete im „Waldhaus“ des Klinikums Berlin-Buch, einem der Zentren der Querschnittgelähmten-Rehabilitation. Seinerzeit betrachtete man Behinderung noch sehr stark als medizinisches Problem. Aber immerhin fand der fast 60jährige, der von Geburt an körperlich beeinträchtigt war (damals sagte man noch „geschädigt“ dazu), dort Arbeitsbedingungen vor, unter denen er seine Fähigkeiten entfalten konnte. Und er fand – unter Ärzten und sonstigem medizinischen Personal, aber auch unter Patientinnen und Patienten – Aufmerksamkeit, wenn er davon erzählte, wie seine Familie ihn vor der „Euthanasie“ rettete. Da war nachwirkende Angst spürbar. Die Erinnerung daran wurde zum Teil seiner Persönlichkeit. Sie trieb ihn an, stets noch „besser“, noch „nützlicher“, noch „effektiver“ sein zu wollen als all seine Kolleginnen und Kollegen. Er kam mir am 2. September d.J. bei der feierlichen Einweihung einer zentralen Gedenk- und Informationsstätte für die Opfer der Nazi-„Euthanasie“ wieder in den Sinn. Sie vervollständigt die Reihe der Erinnerungs- und Mahnorte, an denen der faschistischen Verbrechen an „Minderheiten“ gedacht wird. Weder der Ort noch der Zeitpunkt sind Zufall. Hier stand seinerzeit die Stadtvilla, in der am 9. Oktober 1939 der als „Wohltat“ verbrämte Massenmord an „Krüppeln“, „Idioten“ und anderen „Erbkranken“ beschlossen und anschließend bürokratisch-routiniert organisiert wurde. Es ist also ein Ort der (Schreibtisch)Täter. Und dieser „Euthanasie“-Erlass wurde nachträglich – man sagt, von Hitler persönlich – auf den 1. September 1939 rückdatiert. Der Überfall auf Polen, mit dem der verheerende II. Weltkrieg begann, und die systematische Vernichtung „unwerten Lebens“ waren zwei Seiten einer Medaille. Ewiges Leid?     Wir gedenken a l l e r Opfer des Faschismus. Und wir halten j e d e s Einzelne in Ehren. Das gilt für jedes I n d i v i d u u m. Das gilt für jede G r u p p e. Deshalb ist es gut, dass – neben den Gedenkstätten für die europäischen Juden, die Sinti und Roma, die Homosexuellen – auch die barbarische, systematische Ermordung von rund 300.000 Menschen mit Behinderungen angemessen und würdig in mahnender Erinnerung gehalten wird. Die neue, gläserne Gedenk- und Informationsstätte wird dem Anliegen – auch die systematische Vernichtung von rund 300.000 Menschen mit den unterschiedlichsten Beeinträchtigungen in Erinnerung zu halten – viel stärker gerecht als die schwer auffindbare Bronzetafel, die dort seit Ende der 80er Jahre in den Bürgersteig eingelassen ist. Ulrich Ringk sprach das Wort „Euthanasie“ nicht rückwärtsgewandt aus. Nein, er warnte davor, dass der Gedanke, „unwertem Leben“ durch diesen „guten Tod“ sogar noch etwas „Gutes“ zu tun, durchaus noch nicht überwunden sei. Er machte uns Jüngere auf den euphemistischen (beschönigenden) Charakter des Wortes sehr nachdrücklich aufmerksam. Wenn wir aller Ermordeter gedenken sowie Jede und Jeden ehren, verwischen wir nicht die Unterschiede, die sie zu Opfern machten. Bei Kommunisten, Sozialdemokraten und anderen Republikanhängern war es die politische Haltung. Bei Juden – ähnlich wie bei „Zigeunern“ – die „Rasse“. Homosexuelle wurden wegen ihrer sexuellen Identität verfemt, verfolgt und vernichtet. Menschen mit Behinderungen hingegen wurden von Ärzten, Juristen und Ökonomen von ihren „ewigen Leiden befreit“. Die theoretische „Begründung“ dafür legten der Arzt (Psychiater) Alfred Hoche und der Jurist Karl Binding schon kurz nach dem I. Weltkrieg mit dem Buch „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ (1922). Die Nazis verbrämten die Ermordung sogar zur Wohltat: Wenn diese „Missgeburten“ für medizinische Experimente missbraucht wurden – z.B. indem man an ihnen Medikamente „testete“, ohne irgendeinen therapeutischen Nutzen zu erwarten –, sollten sie „froh“ sein, auf diese Weise den „Ariern“ wenigstens irgendwie „nützlich“ sein zu können. Gleichzeitig diskreditierten Nazis sie als „unnütze Esser“, die der „Volksgemeinschaft“ nur „Kosten“ bescherten und die „Volksgesundheit“ insgesamt beeinträchtigten. Glück könnten sie ohnehin nicht empfinden. Ihr Leben sei „unwert“. Damit wandten sie ein probates Mittel an: Zuerst stigmatisiert (kennzeichnet) man, dann macht man verächtlich; und so wird es oft leicht zu diskriminieren. Die Nazis scheuten dann auch nicht vor der massenhaften Ermordung (sie sprachen von Ausrottung, Ausmerzung, Unschädlichmachung) zurück. Bei Juden, bei Kommunisten, bei Sinti und Roma, bei Sozialdemokraten, bei Homosexuellen, bei Nicht-Ariern (z.B. in der besetzten Gebieten), nicht zuletzt also auch bei Menschen mit Behinderungen. Indem letzteren auch noch Etiketten wie „geisteskrank“ angeheftet wurde, konnte sogar mit einer hohen „Verständnisrate“ gerechnet werden. Als in der Georg-Benjamin-Straße in Berlin-Buch die ersten „Rollstuhlfahrer“-Wohnungen im Rahmen des komplexen Wohnungsbau-Programms entstanden, hatte Ullrich Ringk einen beachtlichen Anteil daran, dass der soziale Blick auf Behinderung (und die Menschen, die mit ihren Beeinträchtigungen leben!) die medizinische Dominanz zurückdrängte. Immerhin führte das u.a. dazu, daß in den 80er Jahren 10% aller Neubauwohnungen „behindertengerecht“ errichtet wurden. Ihr Standard verbesserte sich mit zunehmender Erfahrung. Auch setzte sich die Erkenntnis rasch durch, daß gehbehinderte Menschen nicht automatisch immer nur im Erdgeschoß wohnen wollen.   Umfassendes Teilhabebedürfnis Dennoch blieb die caritative Geste, das Gutmeinen bzw. „Gönnen“ von ein bisschen Freude durchaus noch lange dominierend. Das Leben mit Behinderung blieb – trotz einiger Aufklärung, die das UNO-Jahr der Behinderten (in der DDR: das Jahr der „Geschädigten“) brachte – etwas „Fremdes“, etwas zu Vermeidendes, etwas zu Heilen bzw. zu Reparierendes. Diese Haltung ist bis heute durchaus noch weit verbreitet. Das Selbstbewusstsein behinderter Menschen wuchs. Verbesserte Wohnbedingungen ließen – vor allem im Zusammenhang mit verhältnismäßig guten Arbeitsmöglichkeiten und einem hohen Beschäftigungsgrad von Menschen mit Behinderungen – das Bedürfnis nach Mobilität und Teilnahme an andren Lebensbereichen rasch ansteigen, sodass auch Bordsteinabsenkungen in Neubaugebieten zur Normalität und auf großen Alt-Straßen eingeführt wurden. Überall war Ullrich Ringk einer der sachkundigsten Berater für Stadtplaner und Bauleute. Die T-4-Gedenkstätte allein vermag das Ausmaß des Verbrechens und die kalte Routinemäßigkeit ihrer Ausführung nur teilweise zeigen. Hier werden Einzelschicksale deutlich. Ähnlich arbeitet die Topographie des Terrors. Indem den Ermordeten ihr Name, ihr Lebensgeschichte und auch ihre Familie wiedergegeben wird, entreißen wir sie der Anonymität der großen Masse. Aber erst in Verbindung mit den Orten der Taten – den Vernichtungsanstalten – kommt uns die ganze Perversität des Vorgangs ins Bewusstsein. Hier seien nur die gut geführten – leider durchaus unterfinanzierten – Gedenkstätten in Pirna-Sonnenstein und Hadamar genannt. Aber auch die Geschichte der „Reichsärzteführer-Schule“ im idyllischen Alt Rehse, an dem medizinisches Personal systematisch auf die Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ vorbereitet wurde, kann uns die unglaublicher Verrohung und Verdrehung ethischer Werte begreifen lehren. Unser heutiges Menschenbild ist von der UN-Behindertenrechtskonvention geprägt. Es lobt die Vielfalt, kennt Behinderungen und chronische Erkrankungen als selbstverständliche und gleichberechtigte Bestandteile der Gesellschaft. Sie will freie Persönlichkeitsentfaltung durch volle Teilhabe auf der Basis solidarischen Handelns.   Illusionäre Verheißungen Aber die Gefahr ist längst nicht gebannt. Heute fühlen Menschen mit Behinderungen sich von neuesten „medizinischen Fortschritten“ und den damit verbundenen Veränderungen des Menschenbildes bzw. illusionären Verheißungen des „Machbaren“ bedroht. Die hehren Ziele der Behindertenrechts-Konvention sind längst noch nicht erreicht. Im Gegenteil: Auch heute noch engen reine „Kosten-Nutzen-Rechnungen“ freie Entfaltungsmöglichkeiten ein. Auch heute noch wird der Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile nicht selten als „Luxusbonus“ bezeichnet, den wir (die Gesellschaft) uns „nicht leisten“ könnten. Auch heute noch wird der „Wert“ mancher Menschen an ihrer „wirtschaftlichen Verwertbarkeit“ gemessen. Das macht uns (den Menschen mit Behinderungen und unseren Angehörigen) – auch, wenn es sich nur um „Einzelmeinungen“ handeln sollte – Angst. Desgleichen können die immer wieder auflebenden Debatten um „Sterbehilfe“ – in denen von „Lebensverlängerung durch Drähte und Schläuche“ über „assistierten Suizid“ bis zu „Tötung auf Verlangen“ nahezu alle Varianten von „nicht mehr lebenswert“ durcheinander gewürfelt werden – unser So-Sein im Da-Sein akut gefährden. Eine der Konsequenzen, die Ulrich Ringk aus seinem Überleben im Faschismus zog, war, dass er sich denen anschloss, die am konsequentesten gegen die Nazis kämpften: Er wurde Kommunist. Unsere heutigen Debatten über genetische Untersuchungen und Therapien lernte er nicht mehr kennen. Aber ich bin sicher, dass er sie sehr argwöhnisch begleiten würde. Verheißungen von „ewiger Gesundheit“, „ewiger Schönheit“, womöglich von „ewigem Leben“ durch vorgeburtliche Genmanipulation wären ihm gewiss ebenso suspekt wie Präimplantationsdiagnostik (PID) oder invasive bzw. nicht-invasive Gentests, die keinen anderen Sinn haben, als „Normabweichungen“ zu diagnostizieren. Als wenn es eine „Norm für Mensch“ gäbe! Erst recht erhöbe er gewiss seine Stimme sehr lautstark gegen Äußerungen wie „Das (ein Kind, das mit Behinderung geboren wird) müsste heute doch nicht mehr sein.“ und die daraus abgeleitete Schlussfolgerung, dass die Solidargemeinschaft (z.B. die Krankenkasse bzw. das Sozialamt) dafür nun wirklich nicht (mehr) aufkommen müsse bzw. könne. Es gibt Länder in unserer Nachbarschaft, in denen „Euthanasie“ durchaus wieder einen positiven Klang zu bekommen beginnt. „Assistierter Suizid“ wird in manchen Debatten plötzlich zum höchsten Grad freier Selbstbestimmung. Dass solche „Sterbehilfe-Debatten“ sehr schnell einen erheblichen (moralischen und materiellen) Druck erzeugen können, diese tollen „Angebote“ auch zu nutzen, wenn man – im höheren Lebensalter oder lebenslang – auf fremde Hilfe bzw. den Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile angewiesen ist, wird dabei gern überhört. Die Erinnerung an die „Euthanasie“ – die alles andere als ein „guter Tod“ ist – mahnt uns: Wachsamkeit tut Not!     (Erstveröffentlichung in „Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE“, Nr. 296 (Heft 10/2014), S. 23 – 26)    

CfP: Tagung des AK NS-”Euthanasie” 3.-4.10. 2015 Alt-Rehse

$
0
0

Der Tollensesee bei Alt-Rehse

  Lange war es unklar, ob es überhaupt eine Herbsttagung des "Arbeitskreises zur Erforschung der NS-"Euthanasie" und Zwangssterilisationen" geben wird, doch dann sprang quasi in letzter Sekunde die Erinnerungs-, Bildungs- und Begnungstätte Alt-Rehse ein. Dort passierte ab 1935 unter anderem Folgendes:   [caption id="attachment_11024" align="aligncenter" width="300"]Kurse Alt Rehse 35 und 36. Quelle:  Maibaum Kurse Alt Rehse 35 und 36. Quelle: Maibaum[/caption]   Die NS-Gesundheitsführung wollte einen Ort etablieren, an dem u.a. Ärzte, Pflegende und Hebammen den state of the art an nationalsozialstisch geprägter Rassenideologie, Erbbiologie und dergleichen lernen sollten. Dass das Böse oft an schönen Orten stattfindet, stimmt hier übrigens wirklich:   [caption id="attachment_11025" align="aligncenter" width="300"]Der Tollensesee bei Alt-Rehse Der Tollensesee bei Alt-Rehse[/caption]   Heute gibt es dort ein vollkommen nach nationsozialistischem Ideal designtes Dorf, die originalen Häuser, in denen die angehenden "Gesundheitsführer" während ihrer Schulungen wohnten und wo bis vor kurzem eine verstrahlte Esokommune lebte. Ebenso eine entstehende Gedenkstätte, die eine Ausstellung präsentiert und z.B. die Ethik-Tagungen organisiert. Nun also die Herbsttagung, deren vorläufiges Programm hier zu finden ist und für das noch einige Slots frei sind. Wer also beim Tagungsmotto "Täterforschung im Diskurs" einen erhöhten Pulsschlag bekommt, ist herzlich eingeladen, bis Ende Juli einen Abstract einzureichen.      

Rez: Boris Böhm (Hrsg.): “Wird heute nach einer Landes-Heil- und Pflegeanstalt in Sachsen überführt.” Die Ermordung ostpreußischer Patienten in der nationalsozialistischen Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein im Jahre 1941

$
0
0

„Wird heute nach einer Landes-Heil- und Pflegeanstalt in Sachsen überführt.“ Die Ermordung ostpreußischer Patienten in der nationalsozialistischen Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein im Jahre 1941.

Erschienen: Leipzig 2015; Leipziger Universitätsverlag. Umfang: 172 Seiten. Preis: 22 €. ISBN: 978-3-86583-976-3   „Wird heute nach einer Landes-Heil- und Pflegeanstalt in Sachsen überführt.“ Die Ermordung ostpreußischer Patienten in der nationalsozialistischen Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein im Jahre 1941.
"Beim Thema NS-"Euthanasie" vermischt sich diese Kollektivgeschichte erschreckend real mit meiner Familiengeschichte".
Dieses Bekenntnis von Birte Lauer Winkler in ihrem die Publikation einleitenden Porträt ihrer Urgroßmutter, die aus Ostpreußen nach Pirna-Sonnenstein deportiert und dort ermordet wurde, steht beispielhaft für einen großen Teil der Aufarbeitung der NS-"Euthanasie" nach 1945. Sie fand sehr oft aus einer persönlichen Betroffenheit von Angehörigen, Ärzten, Familienforschern und Amateurhistorikern statt.   Dieser Band nun istauch  das Ergebnis einer Professionalisierung von Forschung zur NS-"Euthanasie", die oft mit der Einrichtung von Gedenkstätten einherging. Wie Boris Böhm in seiner Einführung hervorhebt, soll die Mordaktion, der 623 Ostpreußen zum Opfer fielen, nicht als ein singuläres Ereignis gefasst, sondern in die deutsche und ostpreußische Sozial- und Gesellschaftsgeschichte eingeordnet werden (S. 14)   Boris Böhm, Hagen Markwardt und Ulrich Rottleb zeichnen demzufolge kenntnisreich und unter Nutzung zahlreicher auch abgelegener Quellen die Geschichte der ostpreußischen Antalten bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges nach. Dabei werden nicht nur die Entwicklungslinien der  großen Anstalten wie etwa Tapiau, sondern auch kleinerer Einrichtungen der Behindertenhilfe geschildert. Sie führen die im Vergleich mit anderen Teilen Deutschlands verspätete Einrichtung einer psychiatrischen Versorgungsstruktur auf die durch die überwiegend agrarische Struktur der ostpreußischen Wirtschaft gegebenen Möglichkeiten der Betreuung innerhalb der Familien zurück.   Ulrich Rottleb und Birte Laura Winkler schildern in dem anschließenden Kapitel den Beginn der Krankenmorde 1939 und die Ermordung ostpreußischer Patienten im Frühjahr 1940 durch ein Sonderkommando in Soldau. Damit weichen sie die etwas enge Eingrenzung des Titels des Bandes zwar auf und weiten den Blick sowohl chronologisch wie auch geographisch. Sie folgen aber im Wesentlichen der neueren wie auch älteren Forschungsliteratur zum Thema und zeigen den Beginn der Benutzung von Giftgas im Warthegau, das mittels eines Gaswagens auch zur Ermordung von etwa 1500 Patienten in einem Lager im ostpreußischen Soldau verwendet wurde. Etwas unverständlich bleiben muss hier, warum die bahnbrechende Arbeit von Michael Alberti ((M. Alberti: Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im ReichsgauWartheland. Wiesbaden 2006. Rezension)) nicht rezipiert wurde. Dies kann angesichts der Menge der verarbeiteten Literatur aber als marginaler Mangel betrachtet werden. Nicht so aber der Umgang mit Materialien der Justizbehörden, die im Zuge des Düsseldorfer Verfahrens gegen den HSSPF Wilhelm Koppe entstanden. Dass der Argumentation der Anklageschrift des Staatsanwaltes einfach so gefolgt wird, ohne die besonderen Entstehungsbedingungen, die verfolgten Ziele (nämlich eben explizit nicht geschichtswissenschaftliche Forschung zu leisten) und die beschränkte Aussagekraft dieser Quellenform zu thematisieren, ist ein Versäumnis, das eigentlich seit dem wegweisenden, von Jürgen Finger u.a. herausgegebenen Sammelband nicht vorkommen sollte. ((Jürgen Finger, Sven Keller, Andreas Wirsching (Hrsg.) :Vom Recht zur Geschichte. Akten aus NS-Prozessen als Quellen zur Zeitgeschichte.  Göttingen 2009. Rezension))  Dies wird aber mehr als ausgeglichen durch eine fundierte Analyse der Gruppenstruktur der Opfer und durch zwei Biographien von Opfern der Mordaktion in Soldau, deren volle Namen dankenswerter Weise genannt werden.   Boris Böhm und Birte Laura Winkler zeigen im nächsten Kapitel, dass die Anstalt Kortau als Sammelanstalt für Transporte nach Sachsen im Sommer 1941 diente. Etwa 4.000 Patienten waren dabei auf die sächsischen Anstalten Groschweidnitz, Arnsdorf und Zschadraß, aber auch auf solche in Brandenburg verteilt worden. Böhm schildert die Entwicklung der zur Ermordung vorgesehenen Anstalt Pirna-Sonnenstein, an der auch Direkttransporte aus Ostpreußen ankamen und analysiert die Tatbeteiligung unterschiedlicher Ärzte sowie die Logistik der Transporte, die schon im Vorfeld der Morde zu zahlreichen Todesfällen unter den Patienten u.a. durch die Überbelegung von Anstalten geführt hatte. Hier machen sich die im Rahmen eines Projektes zur Erfassung aller in Sachsen ermordeter Patienten geleisteten Vorarbeiten außerordentlich positiv bemerkbar: So kann Böhm den genauen Todestag für die nach Pirna gebrachten ostpreußischen Patienten nennen.   Birte Winkler beschreibt daran anschließend in biographischen Skizzen, die auf den im Bundesarchiv Berlin archivierten Krankenakten basieren, die Lebenwege von Opfern der Morde in Pirna-Sonnenstein. Es ist eine emotional nur schwer zu ertragende Lektüre, wenn durch die dichte und empathische Beschreibung die oft schwierigen und verwickelten Lebensgeschichten dieser Menschen hervortreten.   Böhm, Christoph Hanzig und Ulrich Rottleb schildern im nächsten Beitrag den Fortgang der Morde nach der Einstellung der Aktion T4 im August 1941. In Zschadraß, Arnsdorf und Großschweidnitz wurden ostpreußische Patienten durch Medikamente, Hunger und Mangelversorgung ermordet, wobei die Beweisführung oft schwierig ist. Dennoch beeindruckt, welche Detailstufe durch das genaue Studium der überlieferten Krankenakten möglich ist. Auch hier schließen sich Biografien von Patienten dem Analyseteil des Beitrages ein.   Im dem den Band abschließenden Beitrag zum Umgang mit den Krankenmorden bis in die Gegenwart unterziehen Böhm und Hagen Markwardt die Erinnerung an die Krankenmorde einer kritischen Analyse. Sie kontestieren ein "idealisiertes Ostpreußenbild für die Zeit vor 1944/45" (S. 156) und behaupten einen "fast vollständigen Bruch der über 90-jährigen psychiatrischen Tradition". (S. 157) Damit zeigen sie zwei Komponenten auf, die neben der fehlenden Zugänglichkeit von Quellen als Ursachen für die inadäquate Erinnerungskultur nach 1945 ins Spiel kamen. Bemerkenswert ist die von den Autoren rekonstruierte Diskurspraxis auf den Seiten der Heimatvertriebenen-Publikation "Wir Ostpreußen", in der noch 1950 behauptet wurde, die Patienten seien von ihrem Leiden erlöst worden. (S. 159) Ob es von Seiten sowjetischer bzw. russischer Historiker eine Aufarbeitung der Krankenmorde auf dem Gebiet des Oblast' Königsberg gab, bleibt leider unerwähnt. Die Autoren kommen zum Schluß, dass die ostpreußischen Opfer der Krankenmorde nicht mehr vergessen seien und können als Beleg eine eindrucksvolle Liste an Publikationen und Gedenkformen an unterschiedlichen Orten anführen. Ein Orts-, Literatur-, und Abblildungsverzeichnis beschließen den Band.   Zusammenfassend ist zu sagen, dass den Autoren des Bandes eine eindrucksvolle Kompilation gelungen ist, die in sich stimmig ist und z.B. Wiederholungen weitestgehend vermeidet. Der Anspruch, die Ereignisse in Ostpreußen und in Pirna in die deutsche Sozial- und Gesellschaftsgeschichte einzuordnen, kann nicht immer als gelungen bezeichnet werden. Dies ist jedoch ein Manko nicht nur dieses Bandes, sondern nahezu aller mittlerweile erschienener Detailstudien zu Regionen oder Anstalten, die von den NS-Krankenmorden betroffen waren. Er ist aber angesichts des ansonsten exzellent analysierten Quellenmaterials auch vielleicht einfach unnötig. Besonders hervorzuheben ist die lückenlose Integration von Biografien von Opfern in den Band. Damit wurde ein Level an integrierter Geschichtsschreibung erreicht, an dem sich zukünftige Publikationen werden messen lassen müssen. Wünschenswert wäre ein Überblick über die Quellenlage gewesen und damit vielleicht auch eine Aussage über die Perspektiven der Forschung zu diesem Gebiet.   Insgesamt ist eine Arbeit zu loben, die Standards setzt und teilweise weit übertroffen hat.

Rez.: Thomas Röske, Maike Rotzoll (Hg.): Wilhelm Werner Sterelationszeichnungen

$
0
0

Eine der Zeichnungen Wilhelm Weners zeigt eines Sterilisation

[caption id="attachment_11148" align="aligncenter" width="204"]Wilhelm Werner Sterelationszeichnungen Cover Wilhelm Werner Sterelationszeichnungen Cover[/caption] Erschienen Heidelberg 2014.Verlag Das Wunderhorn. Umfang 118 Seiten. Preis 24,80 €. ISBN 978-3884234709   Publikationen zur nationalsozialistischen Praxis und Theorie der Zwangssterilisationen gibt es mittlerweile einige, darunter auch solche, die die Nachgeschichte in Form von Rekompensationsforderungen und ihrer hauptsächlichen Ablehnung in der BRD untersuchen (( Stefanie Westermann: Verschwiegenes Leid. Der Umgang mit den NS-Zwangssterilisationen in der Bundesrepublik Deutschland. Köln 2010.)) Die vorliegende Publikation geht nun weit über die vorhandene Literatur hinaus und  präsentiert  in einer überzeugenden Art und Weise "die einzig bislang bekannten bildkünstlerischen Reaktionen eines Betroffenen auf die Zwangssterilisation" (S. 5). Die Herausgeber zeichnen im einleitenden Aufsatz das Leben von Wilhelm Werner nach, der, nachdem er seine Sterilisation erdulden musste, ein Opfer des NS-Krankenmordes in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein wurde. Werner, der die Operation konsequent als "Sterelation" bezeichnete, empfand sich selbst als "Volksredner und Theaterrekesör" (S.9) und wurde 1898 bei Nürnberg geboren. Bereits als Zehnjähriger von den Eltern in die "Idiotenanstalt" Gemünden" gegeben, wurde er nach dem Ersten Weltkrieg  in der Heil- und Pflegeanstalt Werneck aufgenommen. Die von dort an die Zentrale des Krankenmordes in der Berliner Tiergartenstraße 4  gesandten Meldebögen wurden erst vor kurzem zufällig im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden aufgefunden und enthalten auch denjenigen, den ein Arzt der Anstalt für Wilhelm Werner ausfüllte und der ihn somit der Ermordung überantwortete. [caption id="attachment_11147" align="aligncenter" width="300"]Eine der Zeichnungen Wilhelm Weners zeigt eine Sterilisation. Inv.Nr.8083_3_2010 Sammlung Prinzhorn Heidelberg Eine der Zeichnungen Wilhelm Weners zeigt eine Sterilisation. Inv.Nr. 8083_3_2010 Sammlung Prinzhorn Heidelberg[/caption]   Die Autoren ziehen zur Interpretation seiner Zeichnungen lange kunsthistorische Linien und verweisen auf italienische Maler des 16. Jahrhunderts ebenso wie auf expressionistische Graphiken Oskar Schlemmers aus den 1920er Jahren. Sie deuten die Arbeiten Werners als "Zeitsignatur", als "Reflexe der umgebenden Kultur, von der kein Gesellschaftsmitglied unberührt bleibt" (S. 25) und stellen fest, dass sie unseren Erfahrungshorizont überschreiten und in ihrer rätselhaften Darstellungsweise die Eigenschaft des Autors als Außenseiter betonen.   Die eingangs erwähnte überzeugende Art der Präsentation des Werkes Wilhelm Werners beruht jedoch nicht nur auf dem großen Wissensschatz, aus dem die Autoren schöpfen. Hervorzuheben ist insbesondere die optische Gestaltung des Buches, die sich durchgängig an den Stil der im Jahr 2008 vom Museum Sammlung Prinzhorn angekauften Blätter des Zeichners orientiert. Erwähnt werden muss auch die durchgängige Zweisprachigkeit in englischer und deutscher Sprache, womit ein Grundstein gelegt sein könnte für die Überwindung des viel beklagten Mangels an Übersetzungen von Arbeiten aus dem Bereich der Forschungen zum NS-Krankenmord. Nicht zuletzt ist der Fund der Meldebögen der Anstalt Werneck ein Beweis dafür, dass auch nach mehr als 30 Jahren an Forschung zur NS-"Euthanasie" durchaus noch neue Ergebnisse zu erwarten sind.    

Stadtführung: Medizin und Massenmord am 1.8.2015.

$
0
0

Orte der Organisation des Krankenmordes in Berlin auf einem Stadtplan von 1936.

In Berlin wurde ab 1939 der Mord an Kranken und Behinderten organisiert. Die Führung geht zu Orten der Planung der NS-“Euthanasie“-Verbrechen: Die Tiergartenstraße, der Potsdamer Platz, die Neue Reichskanzlei und die Wilhelmstraße werden als Tatorte und Orte der Täter erkundet. Es führt Tom Werner. Treffpunkt ist um 11:00 am Gedenk- und Informationsort für die Opfer der NS-”Euthanasie”-Morde. Dauer ca. 90 Minuten. Wir freuen uns über Spenden.

Petiton für die Namensnennung von Opfern der NS-”Euthanasie”

$
0
0

“Jeder Mensch hat einen Namen. Dieser ist eng verbunden mit seiner Persönlichkeit, seiner Identität und seinem Lebensschicksal. Wer einem Menschen seinen Namen vorenthält, der beraubt ihn seiner Identität und seiner Menschenwürde. Wer den Opfern ihren Namen nimmt, tötet sie im Sinne des Vergessens erneut. Gerade für jüdische Mitbürger ist es wichtig, dass der Name eines Menschen genannt wird, um ihn in Erinnerung zu halten. Bei den Opfern der NS-Euthanasie ist die Situation jedoch anders.”

 

So beginnt eine Petition an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, die die “Aktualisierung, Modernisierung und Humanisierung des Bundesarchivgesetzes” fordert und im Februar 2015 eingereicht wurde. Hintergrund ist, dass § 5, Abs. 6  dieses Gesetzes die Namensnennung untersagt, da schutzwürdige Belange Dritter berührt sein könnten. In diesem Fall wird mit den Rechten Angehöriger argumentiert. Diese hätten ein Interesse daran, nicht mit Vorfahren in Verbindung gebracht zu werden, die als geistig behindert oder psychisch krank galten und deswegen ermordet wurden.

 

Wir haben zu diesem Thema bereits ein Gutachten bei Dr. Erhart Körting in Auftrag gegeben, der diese Argumentation als juristisch fragwürdig zürückweist und unterstützen die Initiative des Kreisverbandes DIE LINKE Limburg-Weilburg.

 

Die Petition richtet sich an Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Sie lässt in einer Stellungnahme zur Petition eine gewisse Handlungsbereitschaft erkennen:

 

“Mit Blick auf die Bedeutung eines auch namentlichen Gedenkens an die Opfer der NS-Euthanasie und einer umfassenden Aufarbeitung der Umstände der „Euthanasie“-Morde werde ich gemeinsam mit dem Bundesarchiv und unter Hinzuziehung der Beauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit prüfen, inwieweit die bisherige Praxis dem gerecht wird und eine Änderung derselben geboten erscheint.”

 

Die Petition wird von mehreren Angehörigen von Opfern der NS-Krankenmorde unterstützt. So schreibt Sigrid Falkenstein, deren Tante in Grafeneck ermordet wurde, in einem Unterstützungsschreiben an Monika Grütters:

 

“Die längst überfällige und auch heilsame Aufarbeitung wird den Angehörigen von Euthanasieopfern nicht leichter gemacht, indem die Veröffentlichung der Namen in einer Datenbank – wie sie für die jüdischen Opfer existiert – von offizieller Seite abgelehnt wird. Unbegreiflich – im Jahr 2013 wird mit Bezug auf Datenschutzrichtlinien unter anderem argumentiert, man möge auf die heute lebenden Verwandten Rücksicht nehmen. Rücksicht worauf? Auf eine mögliche psychische – gar erbliche – Erkrankung in der Familie? Eine solche Argumentation knüpft doch direkt an das eugenische Denken an, das zur Vernichtung der sogenannten Erbkranken führte. Dies bedeutet nicht nur eine fortdauernde Diskriminierung der Opfer, sondern trägt auch zur Stigmatisierung derjenigen bei, die heute von Behinderungen oder psychischen Erkrankungen betroffen sind. Nicht zuletzt werden dadurch die Schwellenängste von Angehörigen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, erhöht.”

Mehr zu der Diskussion um die Namensnennung finden Sie in zahlreichen Beiträgen auf unserem Blog, unter anderem hier:
Tagungsbericht: Zur Frage der Namensnennung der Münchner Opfer der NS­„Euthanasie“ in einem Gedenkbuch

 

 

 

 

NS-Krankenmord im besetzten Polen: Unbekannte Tatorte in Łódź

$
0
0

Der nationalsozialistische Krankenmord im besetzten Polen ist ein Thema, das von der ansonsten sehr intensiven Forschung zur NS-”Euthanasie”, zur Aktion T4 und Zwangssterilisationen kaum aufgenommen wurde.

 

Die deutsch- wie die polnischsprachige Historiographie brachte jeweils genau eine Monographie zu Stande: “Die Anfänge der Vernichtung lebensunwerten Lebens in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Warthegau” von Volker Rieß 1)Volker Rieß: Die Anfänge der Vernichtung lebensunwerten Lebens in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Warthegau 1939/40. Frankfurt/Main 1995  und “Zagłada osób z zaburzeniami psychicznymi w okupowanej Polsce: Początek ludobójstwa” [Die Vernichtung von psychisch kranken Menschen im besetzten Polen: Der Anfang des Völkermordes] 2)Tadeusz Nasierowski: Zagłada osób z zaburzeniami psychicznymi w okupowanej Polsce: Początek ludobójstwa. Wasrschau 2008. von Tadeusz Nasierowski. Während Rieß ein riesiges Quellenkorpus, bestehend aus Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, meisterte, konnte Nasierowski auf zahlreiche Egodokumente, Erinnerungen polnischer Psychiater an die Zeit des Zweiten Weltkrieges, zurückgreifen. Zugleich jedoch stehen diese Titel symptomatisch für die Unmöglichkeit, alleine schon der Sprachkenntnisse wegen, eine histoire croisée dieses Aspekts der deutschen Besatzungspolitik im Zweiten Weltkrieg zu versuchen. So nimmt es auch nicht wunder, dass bisher vor allem die Geschichte der großen psychiatrischen Anstalten und ihrer Patienten untersucht wurden: Es gibt dazu bereits Forschung, vor allem aus den 1970-er Jahren, und es gibt Unterlagen der Justizbehörden, die erfolglos versuchten, Täter zur Verantwortung zu ziehen.

 

Dabei gibt es darunter noch eine Ebene an Heimen, Sanatorien und anderen Einrichtungen, deren Insassen ebenfalls in das Blickfeld der deutschen Besatzungspolitik gerieten. Unklar ist dabei, neben der noch weitgehend unbekannten Quellenlage, aber alleine schon die Frage nach dem Warum. Waren es “pragmatische” Gründe, wegen derer man die Insassen ermordete, etwa mit dem Argument, man benötige die Gebäude oder weil man sich so genannter unnützer Esser entledigen wolle? Oder war es vielmehr das ideologische Primat, das auch im Altreich bekannten Stratgemen von In- und Exklusion folgte und das Endziel einer reinen Volksgemeinschaft vorgab?

 

Nun konnten erstmalig mit Hilfe von Unterlagen des Instituts des Nationalen Gedenkens in Łódź einige kleinere Institutionen, in denen in der 2. Polnischen Republik im Stadtgebiet von Łódź Behinderte betreut worden war, ausfindig gemacht werden. Sie alle, so ergaben -jedoch mit Vorsicht zu betrachtende- Feststellungen des Staatsanwalts des Instituts des Nationalen Gedenkens 3)AIPN  Łódź, Staatsanwaltschiftliches Aktenzeichen S 56/10/Zn wurden im Frühjahr 1940 “geräumt”, d.h. die Patienten sollen von einem Sonderkommando unter Führung des Kriminalpolizisten Herbert Lange ermordet worden sein. Man kennt bisher nur die ungefähre Zahl der Opfer (mit Ausnahme der Einrichtung in der ul. Narutowicza). Es handelte es sich ausschliesslich um kirchliche Einrichtungen. Eine eingehende wissenschaftliche Beschäftigung erscheint auch daher umso lohnender, als die NS-Politik gegenüber den Kirchen im besetzten Polen immer noch nahezu eine terra incognita ist.4)vgl. Jonathan Huener: Nazi Kirchenpolitik and Polish Catholicism in the Reichsgau Wartheland, 1939–1941. In: Central European History 47 (2014), 105–137. doi:10.1017/S0008938914000648

 

Ich konnte drei ehemalige Heime aufsuchen und fotografisch dokumentieren. Das Interessanteste ist die ehemalige katholische Einrichtung Johannesheim im Stadtteil Radogoszcz. Hier steht ein sicherlich mehr als hundert Jahre altes zweistöckiges Haus, das nahezu original erhalten ist. Ein kurzes Gespräch mit einer Bewohnerin ergab, dass es weder an das Wasser- noch an das Kanalnetz angeschlossen ist. Zeugt dies von einer fortgesetzten Marginalisierung von sozial schwachen Menschen, die die Stadt in die in ihrem Besitz sich befindliche Immobilie einweist? Wie auch immer, die Geschichte das Hauses ist vor Ort nicht präsent, es gibt kein Gedenken, keine Erinnerung an die 37 Menschen, die von hier aus an ihren ebenfalls noch unbekannten Todesort gebracht wurden.

 

Johannesheim ul. Lucji 31 Frontansicht Johannesheim ul. Lucji 31 Strassenanbindung Johannesheim ul. Lucji 31 Garten mit Waschräumen Johannesheim ul. Lucji 31 Garten mit Waschräumen Johannesheim ul. Lucji 31 Treppenhaus Behindertenheim ul. Tkacka 36 - Jetzt ein Gymnasium Behindertenheim ul. Tkacka 36. Es lag in einer wohlhabenden Gegend mit vllenähnlicher Bebauung Ehem. Alten- und Behindertenheim ul. Narutowicza 60. Jetzt Collegium Anatonicum Ehem. Alten- und Behindertenheim ul. Narutowicza 60. Jetzt Collegium Anatonicum Ehem. Alten- und Behindertenheim ul. Narutowicza 60. Jetzt Collegium Anatonicum

 

Etwas anders gelagert ist die Situation in dem etwas näher am Stadtzentrum gelegenen, ebenfalls von der katholischen Kirche getragenenen ehemaligen Behindertenheim in der Tkackastrasse. Hier ist keine originale Bausubstanz mehr erhalten. Aber auch hier kennt man weder die Namen der Opfer noch die genaueren Umstände ihrer Ermordung. An dem heute dort stehenden Gymnasium wurden ebenfalls keinerlei Erinnerungszeichen angebracht.

 

Die einzige ehemalige Behindertenhilfeeinrichtung, deren Geschichte als solche gekennzeichnet ist, befindet sich an dem heute als Collegium Anatomicum genutzten Gebäude der Universität Łódź in der Narutowiczastrasse 60. Es muss sich um eine größere Institution gehandelt haben, auch wenn hier keinerlei Opferzahlen bekannt sind. Die am Gebäude befestigte Informationstafel schweigt sich jedenfalls über diesen Teil der Geschichte aus. Dies ganz im Gegensatz zur der einen großen Institution in  Łódź, dem Krankenhaus Kochanówka, an dem dank einer bürgerschaftlichen Initative im Jahr 2013 eine Gedenktafel enthüllt werden konnte.

 

TL;DNR: Es gibt noch viel zu forschen zum NS-Krankenmord in Polen. Eine Erinnerungskultur ist nur in Ansätzen vorhanden. Zu den Tätern weiss man fast nichts.

 

Einzelnachweise   [ + ]

1. Volker Rieß: Die Anfänge der Vernichtung lebensunwerten Lebens in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Warthegau 1939/40. Frankfurt/Main 1995
2. Tadeusz Nasierowski: Zagłada osób z zaburzeniami psychicznymi w okupowanej Polsce: Początek ludobójstwa. Wasrschau 2008.
3. AIPN  Łódź, Staatsanwaltschiftliches Aktenzeichen S 56/10/Zn
4. vgl. Jonathan Huener: Nazi Kirchenpolitik and Polish Catholicism in the Reichsgau Wartheland, 1939–1941. In: Central European History 47 (2014), 105–137. doi:10.1017/S0008938914000648

Die Entstehung der Gedenkstätte Hadamar. Ein Beitrag von Reimund Benack

$
0
0

Keller der Psychiatrie Hadamar mit Patientenakten 1983. Foto Dieter Fluck

[caption id="attachment_11252" align="aligncenter" width="300"]Tötungsanstalt Hadamar im Jahr 1941  Ansicht von Norden mit Blick auf Busgarage Quelle Fold 3 Tötungsanstalt Hadamar im Jahr 1941 Ansicht von Norden mit Blick auf Busgarage Quelle Fold 3[/caption] In der Gaskammer der früheren Landesheil- und Pflegeanstalt Hadamar wurden von Januar bis August 1941 (T 4 Aktion) ca. 10.000 Patientinnen und Patienten ermordet. Nach einer Pause von einem Jahr nahm die Anstalt Hadamar die Funktion einer Tötungsanstalt wieder auf. Als solche war sie eingebunden in die "zweite Mordphase", bei der noch einmal von August 1942 bis Kriegsende ca. 4.500 Menschen in Hadamar getötet wurden. Dies geschah vor allem durch Verabreichung von überdosierten Medikamenten, Spritzen und gezielter Mangelernährung.   Vom Personal in Hadamar waren an den Morden in den Jahren von 1941 bis 1945 aktiv beteiligt: fünf Ärzte, ein Verwaltungsleiter und weibliche sowie männliche Pflegekräfte. Sie mussten sich in zwei Nachkriegsprozessen für die von ihnen begangenen Verbrechen verantworten. Während Ärzte und Verwaltungsleiter aus heutiger Sicht mit geringen Gefängnisstrafen davon kamen, wurden drei Pfleger, die an der Tötung von Patienten durch Medikamente und Spritzen direkt beteiligt waren, durch Befehl Nr. 4 der Militärkommission des Befehlshabers der Siebenten Armee der Vereinigten Staaten, am 14. März 1946 gehängt.   1980 wurde Dr. Wulf Steglich  neuer Chefarzt der Psychiatrie Hadamar. Er beschreibt in seinem Buch: „Begegnung mit der Euthanasie in Hadamar“ ((Wulf Steglich, Gerhard Kneuker (Hrsg.): Begegnung mit der Euthanasie in Hadamar, Psychiatrie-Verlag 1985, ISBN 978-3-88414-068-0 / Neuauflage Heimdall Verlag 2013, ISBN 978-3-939935-77-3)) die Schwierigkeiten eines Neuanfanges und Umdenkens in der Behandlung der Patienten und die erheblichen Behinderungen seiner Aktivitäten zur Einrichtung einer Euthanasie-Gedenkstätte im Keller der Psychiatrie Hadamar.   Chefarzt Dr. Wulf Steglich traf in der Psychiatrie Hadamar offenbar chaotische Zustände an. Zeitzeugen berichten heute, dass es unter anderem in der Anstalt Hadamar noch bis in die späten sechziger Jahre vorkam, dass Patienten mit Wasserstrahl, Elektroschock und Schlägen traktiert wurden.((Vgl. Ernst Klee: Bis ins letzte Bett geprügelt. In: Die Zeit v. 4.1.1980))   Steglich wollte die Psychiatrie Hadamar, die nach dem Krieg vom Landeswohlfahrtsverband Hessen (LWV) teilweise noch bis 1970 mit Pflegepersonal aus der NS-Zeit und nach den veralteten Methoden früherer Ärzte geführt wurde, erneuern. Er erreichte viel beachtete und gefeierte Anfangserfolge, stieß dabei aber auch auf erhebliche Widerstände.   [caption id="attachment_11249" align="aligncenter" width="300"]Keller der Psychiatrie Hadamar mit Patientenakten aus der NS-Zeit 1983. Foto Dieter Fluck Keller der Psychiatrie Hadamar mit Patientenakten aus der NS-Zeit 1983. Foto Dieter Fluck[/caption]   Zum Eklat  kam es dann, als er und sein Team die Keller der Psychiatrie Hadamar öffneten, Patientenakten der Euthanasieopfer sichteten, aufarbeiteten und endlich am Buß- und Bettag 1983 erstmals die von Steglich und seinen Aktivisten eingerichtete Gedenkstätte der Öffentlichkeit zugängig machten.   Nach Auffassung des LWV Hessen, dem Bürgermeister, den Geistlichen beider Konfessionen und der Kommunalpolitik ein schlimmes Vergehen, denn sie hatten die in der Kleinstadt Hadamar praktizierten Strukturen des „Schweigens und Vergessens“ durchbrochen.   Dafür haben die Aktivisten um Steglich und Kneuker teuer bezahlt: Ihre Aufarbeitung der Euthanasieakten wurde behindert wo es nur ging. Die Verwaltungsleitung der Psychiatrie verbot ihnen sogar, das Kopiergerät der Klinik zu benutzen. Die Aktiven wurden argwöhnig überwacht und kontrolliert, ob sie neben ihrer Forschungsarbeit auch genügend für die Klinik leisten. Sie empfanden sich gemobbt verspürten blanken Hass.   Dr. Steglich schreibt im Buch: "Es kann von uns nicht so einfach weggesteckt werden, das Projektionsziel der Aggression von Mitarbeitern - kommunaler, institutioneller und politischer - zu sein." „Intrigen, Kündigungsversuche, Querelen um alles und nichts lähmen, binden Kräfte. Heute, Jahre danach, stockt an dieser Stelle die Niederschrift des Buches. Wieder und wieder erhebt sich die Frage, wie in dieser Klinik mit dieser schrecklichen Vergangenheit (heute noch d. Red.) mit Patienten und Mitarbeitern umgegangen wird.“   Steglich weiter: „Viel Positives erfahren wir zu unserer Arbeit. Misstrauen begegnet mir aber auch. Zu gerne hätte ich mit meiner Familie weiterhin in diesem landschaftlich schönen Ort gelebt. Das Befassen mit der Vergangenheit hat mich jedoch vor die Frage gestellt, ob ich unter unwürdigen Arbeitsbedingungen weiterarbeiten und resignieren will – ähnlich vieler „Täter“ in der Euthanasie – oder ob ich unter dem Eindruck wieder aufkommender früheren Strukturen, da die Vergangenheit nicht bearbeitet ist, aus dieser Klinik ausscheide.“   Politische Psychiatrie Dr. Steglich am 15. Juni 1983 – „ Nur noch wenig Zeit bleibt uns, um das geplante erste Hadamarer Psychiatrie-Symposium zu belegen. Es soll im November stattfinden. Wir stehen im Zielkonflikt zwischen weiterem Dahindämmern und positiver Öffnung. Gerade das Befassen mit der schrecklichen Vergangenheit der Klinik macht uns deutlich, dass wir nur dann hier weiterarbeiten können, nur dann mit Patienten im humanistischen Sinne umgehen, wenn wir uns den immer drängender werdenden Fragen in der Psychiatrie stellen. Ganz besonders drängt sich in Hadamar das Problem auf, wie politische Psychiatrie damals war und heute sein darf. Gern gesehen ist unser Projekt allerdings nicht. Zu allem Überfluss haben wir auch noch die verrückte Idee, am Buß- und Bettag, der in die Veranstaltungsreihe fällt, einen Euthanasie-Gedenktag einzubauen. Wer wird uns helfen, die uns nun bekannten Räume der Mordaktion zu einer würdigen Informations- und Gedenkstätte herzurichten? Werden überhaupt Besucher kommen? Wer wird die hohen Aufwendungen tragen? Wo werden wir die Zeit, - neben unserer üblichen Klinikarbeit – hernehmen, um das massenhafte Material durchzusehen, uns weiter sachverständig zu machen?   Buß- und Bettag 16. Nov. 1983 - Die Dokumentations- und Gedenkstätte Hadamar wird eröffnet. Dr. Wulf Steglich schreibt in seinem Buch: „Heute haben wir den - Euthanasie-Tag - des 1. Hadamarer Psychiatrie-Symposiums. Noch am Morgen sind wir ungewiss, welches Interesse gerade diesem Thema entgegengebracht wird, Der vollbesetzte Festsaal beseitigt unsere Zweifel. Viele Gespräche am Rande der Veranstaltung machen uns deutlich, dass eine Menge von uns erwartet wird. Objektive Aufklärung wird verlangt. Heute eröffnen wir die in den letzten Wochen mit viel Mühe entstandene Gedenkstätte in den ehemaligen Vergasungs- und Verbrennungsräumen des Hauses 5. Gestern ließ sich der Landesdirektor diese Dokumentations- und Gedenkstätte zeige. Er war voll des Lobes über unsere Arbeit. Heute haben wir bereits mehrere hundert Gäste in den entrümpelten Räumen. Viele für die Zukunft wichtige Kontakte knüpfen wir an diesem Tag. Zweifel schleichen sich auch ein in unsere Gespräche heute. Aus unserer Erfahrung und aus der Arbeit mit Patienten wissen wir, dass immer dann, wenn Verdrängtes aufgedeckt wird, heftiger Widerstand erfolgt. Wann wird man auf uns die ersten Steine werfen?“   Abmahnung und Kündigung zum 30.Juni 1985 Für Dr. Steglich völlig überraschend, wurde er Ende 1984 vom LWV Hessen abgemahnt, zur Kündigung seines Arbeitsverhältnisses aufgefordert und zum 30.Juni 1985 vom LWV entlassen. Gerhard Kneuker kündigte wissend, dass für ihn unter den gegenwärtigen institutionellen Gegebenheiten eine Weiterarbeit nicht mehr möglich war.   Anderen Mitstreitern erging es ähnlich. Sie wurden gemobbt bis zur eigenen Kündigung oder gingen freiwillig. Mehrere mussten ihre Lebensplanung völlig ändern, da man ihnen nach meiner Informationen auch gedroht hatte: "Wir werden dafür sorgen, dass ihr im Kreis Limburg keinen Arbeitsplatz mehr finden werden!" Einige verließen die Klinik, weil sie nicht in einer Psychiatrie arbeiten wollten, die offensichtlich selbst nicht bereit war, ihre Geschichte aufzuarbeiten und die sich daraus notwendig ergebenden Schlüsse in die Tat umzusetzen. Hadamar ist heute wieder eine der Zwangsbehandlung offenstehende Anstalt.   Dr. Steglich schreibt am 30.Juni 1985: „Wir wollen für uns bekennen, dass wir mit unserer Hoffnung, dem „neuen Hadamar“ und einer „neuen Klinik“ dienen zu können, gescheitert sind. Die zukünftige Betrachtung wird uns bestätigen: Eine Veränderung ist ohne Aufarbeitung nicht möglich. Eine moderne, humane, soziale und transparente Psychiatrie muss sich ihrer eigenen Geschichte stellen, besonders in Hadamar“.   Zweite Kammer Arbeitsgericht Limburg. Dr. Steglich klagt vor dem Arbeitsgericht gegen die Kündigung. Der Richter stellte fest, dass die Differenzen zwischen Personalrat und Chefarzt nicht einseitig angelastet werden könne. Dem LWV hielt er vor, im wahrsten Sinne Punkte gegen den Arzt gesammelt und nicht deutlich genug geschlichtet zu haben. Der Verteidiger von Dr. Steglich führte aus, dass sein Mandant bei seinem Amtsantritt in Hadamar „Chaotische Verhältnisse vorgefunden hat.“ Bei dem Neuaufbau der Klinik und der Umstrukturierung sei es zwischen Mitarbeitern und Personalrat zu Differenzen gekommen, die es immer und überall gebe. Dem LWV warf der Verteidiger mangelnde Fürsorge gegenüber dem Chefarzt vor. Der Richter stellte fest: Die Kündigung sei vor Gericht nicht wirksam. Da der Mediziner als leitender Angestellter jedoch anderen Kündigungsschutzbestimmungen unterliege, werde das Arbeitsverhältnis dennoch beendet, weil es der Arbeitgeber beantragt habe.   Die Aufteilung der Gerichtskosten zeigt auch die Aufteilung der Schuld: ¼. Dr. Steglich – ¾ . der LWV Hessen.  Beim Vergleichstermin vor dem Arbeitsgericht im Dez. 1985 ((nnp 19.12.1985)) spricht dieses Dr. Wulf Steglich eine Abfindung von rund 80.000 DM zu.   [gallery columns="2" ids="11251,11250"]   Weiterführung der Gedenkstätte nach Dr. Steglich Dr. Steglich und seine Unterstützer befürchten die Schließung der Gedenkstätte nach seiner Entlassung und wenden sich diesbezüglich im Mai 1985 an den LWV Hessen und die Kirchen.   Danach haben sich die Zeiten geändert. Bereits im Jahr 1988 war eine Gedenkstätte für die Euthanasie-Verbrechen des NS-Regimes zu haben, nicht schlimmes mehr. Opportunismus war Mode geworden. Zusammenfassung: Dr. Steglich ist aus den vorstehend aufgeführten Sachverhalten als Gründer der Gedenkstätte Hadamar anzusehen. Bis heute wird dies vom LWV Hessen, den bisherigen Verantwortlichen der Gedenkstätte Hadamar und der Kommunalpolitik verschwiegen. Dr. Wulf Steglich wird die Anerkennung seiner richtungweisenden Leistungen als Gründer der Gedenkstätte Hadamar bis heute vorenthalten und verweigert.  

Wir starten einen Schul- und Amateurtheater-Wettbewerb

$
0
0

andersartig gedenken on stage logo

andersartig gedenken on stage logo   Wir unterstützen Theater gegen das Vergessen.  In einem bundesweiten Wettbewerb laden wir Theatergruppen dazu ein, sich mit Biographien von Menschen zu beschäftigen, die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden, weil sie als unheilbar oder psychisch krank oder als geistig behindert galten.   Kooperationen zwischen Theatergruppen mit Menschen mit und ohne Behinderung sind ausdrücklich erwünscht.Wir unterstützen bei der Suche nach Biografien, Fakten und vermitteln Begegnungen mit Angehörigen.   Mehr zur Teilnahme, Anmeldung und den Bedingungen hier.   Dieses Projekt wird von zahlreichen Unterstützern getragen.    

“Annas Spuren” jetzt in leichter Sprache

$
0
0

“Annas Spuren” ist das Ergebnis jahrelanger Recherchen von Sigrid Falkenstein. Sie war zufällig über die so genannte “israelische Liste” mit dem Bundesarchiv entwendeten Namen von Opfern der Aktion T4 auf ihre Tante gestossen.

 

Das Buch war -und ist- sehr gut verkauft und damit gelangte die NS-”Euthanasie” auch in die großen, klassischen Medien. Bisher fehlte aber ein inklusiver Zugang zu dem Buch, z.B. für Menschen “die nicht so gut lesen können”, wie der Verleger, der Spaß am Lesen Verlag, schreibt.

Annas Spuren in leichter Sprache

Annas Spuren in leichter Sprache

Wir unterstützen Sigrid Falkensteins Aufruf, dem Verlag in seinen Bemühungen, das Wissen um die NS-”Euthanasie” allgemein bekannt zu machen, zu helfen. Sie schreibt:

 

Leider gibt es viel zu wenige Bücher in Einfacher Sprache, daher möchte ich das Projekt nach Kräften unterstützen.
Da der Verlag kaum Mittel für Werbung hat, bitte ich Sie darum, die Information in Ihren jeweiligen Verteilerkreisen zu verbreiten.

Das Buch ist beim Verlag zu haben, und auch im Buchhandel.

 

Links 19

$
0
0

Was tut sich punkto Erinnerung an die NS-”Euthanasie”? Hier einige Hinweise. Ergänzungen gerne in den Kommentaren!

 

Die Ausstellung “In memoriam . Euthanasie im Nationalsozialismus” ist vom 23.10.2015 bis zum 31.1.2016 im Stadtmuseum Kaufbeuren zu sehen.

 

 

Mit einem Gedenkgottesdienst erinnert die Diakonie Kork am Freitag, 23. Oktober, 10.30 Uhr, in der Kreuzkirche an die Ermordung von 113 Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Kork im Mai und Oktober 1940.

 

Die Welt berichtet über die Aufarbeitung der Ermordung behinderter Kinder in Lüneburg. Menschen mit Behinderungen werden aktiv einbezogen.

 

Das Netzwerk für Demokratie und Respekt Buch-Karow organisiert einen Gedenkspaziergang in Berlin-Buch. Sie laden dazu ein, Formen des Gedenkens zu erkunden und die Frage, was diese Ereignisse und Menschenbilder auch für die heutige Zeit bedeuten, zu reflektieren.

 

Akten von 400 Salzburger Opfern der NS-Euthanasie, die Patienten der Christian-Doppler-Klini waren, werden untersucht.

 

Der Tagesspiegel brachte eine Rezension zu “Die Erwählten” von Steve Sem-Sandberg über die NS-”Euthanasie”-Klinik Am Spiegelgrund in Wien.

 

Am 5.11.2015 werden Begleitmedien zum Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde in Berlin in der Topographie des Terrors vorgestellt.

 

Die aktuelle Ausgabe des Distanz-Magazins widmet sich dem Thema Behinderung.

 

 

Erweiterte Biographie: Walburga Kessler

$
0
0

Stolperstein für Walburga Kessler in Irsee

Vor einigen Jahren fand Matt Kessler eine Person unter seinen Vorfahren, von der er noch nie etwas gehört hatte: Seine Urgroßtante Walburga Kessler. Seit 1999 trug er Dokumente, Fotos und Erinnerungen zusammen. In seinem neuesten Update der Biographie auf unserer Seite berichtet er unter anderem von der Stolpersteinverlegung am Ort der Ermordung, der Anstalt Irsee in Bayern. Ein weiteres, fast schon unheimliches Resultat seiner Recherchen ist die Auffindung von Filmaufnahmen, die 1940 und 1941 in Irsee im Auftrag der Planungszentrale der Aktion T4 angefertigt worden waren. Darauf ist auch Walburga Keßler zu sehen, die wie die anderen von den Vinzentinerinnen betreuten Behinderten zu Propagandazwecken vorgeführt wurden. 1988 verwendeten Ernst Klee und Gunnar Petry in ihrem Film "Alles Kranke ist Last" einen Teil der Aufnahmen. Da dieser Film auf youtube gelangte, konnten die Aufnahmen in die Biografie integriert werden. [caption id="attachment_11685" align="aligncenter" width="300"]Stolperstein für Walburga Kessler in Irsee Stolperstein für Walburga Kessler in Irsee[/caption]

Neue Biografie: Emilie Rau

$
0
0

Emilie Rau mit Familie

Emilie Rau ist eines der T4-‚Vorzeigeopfer' in der Bundesrepublik. Seit Anbeginn wird sie in der Dauerausstellung in der Gedenkstätte Hadamar porträtiert, mit ihrer Biografie wird im pädagogischen Begleitprogramm von vielen Gruppen gearbeitet, sie wird in wissenschaftlichen Studien, Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildung, Zeitungsartikeln, Filmdokumentationen und privaten wie offiziellen Webseiten erwähnt.  
[caption id="attachment_11693" align="aligncenter" width="150"]Emilie Rau mit Familie Emilie Rau mit Familie[/caption]   So beginnt ein Text, der weit mehr ist, als ein Versuch, die Biografie eines Opfers der NS-"Euthanasie" zu rekonstruieren. Andreas Hechler bettet das historische Geschehen in Reflektionen darüber ein, wie in seiner Familie erinnert -oder aber auch nicht- wird - und das verweist dann auf die vielen Abwehrversuche nach 1945, die man als Trias von nicht anerkennen-nicht erinnern-nicht entschädigen fassen kann. Zugleich ist die Biographie ein Kapitel im Sammelband Cora Schmechel u.a. (Hrsg.): Gegendiagnose. Beiträge zur radikalen Kritik an Psychologie und Psychiatrie. edition assemblage, Münster 2015, der an dieser Stelle ebenfalls zu empfehlen ist.   Angesichts dieser Öffentlichkeit wirkt die Präsentation auf der Website der Gedenkstätte Hadamar zunehmend befremdlicher. Dort ist sie, Gepflogenheiten der Rücksichtnahme auf Datenschutz und den angeblichen Schutz von Angehörigen folgend, als Emilie R. zu finden. Andreas Hechler hat dazu die richtigen Argumente gefunden:  
Sollten der Veröffentlichung der Namen tatsächlich rechtliche Hindernisse im Weg stehen, so möchte ich als einer, auf den sich da standardmäßig bezogen wird, als ›heute lebender Verwandter‹ sagen: Das passiert nicht in meinem Namen! Und auch nicht im Namen eines Teils meiner Familie. Mein Vater hält die Anonymisierung für »Quatsch« und mein Cousin Sebastian antwortet auf die Frage, ob der NS-›Euthanasie‹-Opfer mit vollem Namen gedacht werden sollte: »Ja. Die haben genau so ein Recht wie alle anderen, die ermordet worden sind.« Meine Großmutter schrieb schon 1989: »Speziell für mich ergibt sich daraus die Forderung, daß meine unglückliche Mutter nicht anonym unter einem Denkmal versteckt bleibt!  
Die Biographie in Kurzform und einen Link zum langen Text finden Sie hier.  

Rückblick: Tagung des AK NS-”Euthanasie” in Löbau/Großschweidnitz 5.6-7.6.2015

$
0
0

Eingang zur Gedenkstätte

Wir freuen uns im Folgenden einen Rückblick auf die Tagung des Arbeitskreises zur Erforschung der nationalsozialistischen "Euthanasie" und Zwangssterilisationen in Löbau im Frühjahr 2015 aus der Feder von Udo Dittmann zu präsentieren.  
  • Freitag, 5. Juni 2015 - Aula der Kreismusikschule, Löbau
  Begrüßung: Andreas Schönfelder, Gedenkstätte Großschweidnitz Stefan Zinnow, Landeszentrale für politische Bildung, Sachsen Dr. Jürgen Trogisch: Einführung in die Geschichte der NS-"Euthanasie" und ihrer Aufarbeitung in der Region Oberlausitz In der Oberlausitz gab es erst nach der Wende 1990 ein Gedenken an die NS-"Euthanasie"- Opfer, damals wurde auch bald ein Gedenkgottesdienst gefeiert. Dieser Beitrag beschäftigte sich hauptsächlich mit dem Katharinenhof in Großhennersdorf. Der Leiter war früher Dr. Meltzer, der durch sein Buch "Das Problem der Abkürzung 'lebensunwerten' Lebens" aus dem Jahr 1925 bekannt wurde. Es war eine Reaktion auf das Buch von Binding und Hoche "Über die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens" (1920) gewesen. (Meltzer hatte damals eine Umfrage an die Angehörigen von Pfleglingen des Katharinenhofes gemacht. Das für ihn überraschende Ergebnis war, dass fast 70 Prozent der Angehörigen mit einer "Euthanasie" einverstanden gewesen waren. Anm.U.D.) Er selbst hatte eine ablehnende Haltung zur Euthanasie gehabt und sich durch die Umfrage eine Unterstützung erhofft. - Der Nachfolger von Meltzer war dann Dr. Daniel. In der DDR tat man sich mit der Aufarbeitung der NS-"Euthanasie" schwer. Man war froh, wenn sich die innere Mission um die Behinderten kümmerte. Noch Ende der 70er Jahre gab es ca. 260 Kinder am Katharinenhof, die alle in Massenquartieren lagen, z.T. galt das auch für Mitarbeiter. Zum einen bemühte sich Thom in der DDR um Aufarbeitung. Er war bei der Tagung des Arbeitskreises in Leipzig gewürdigt worden. Dann gab es aber auch noch Kurt Nowak, der ein Werk über "Euthanasie" und Sterilisation im 3.Reich geschrieben hatte, die auf der Dissertation von 1969/ 70 aufbaute. Leider fand sich bisher niemand, der Nowak stärker gewürdigt hat.   Dr. Uwe Kaminski: Dezentrale Euthanasie - (Selbst)steuerung eines katastrophenpolitisch motivierten Mordes Die 2. Phase der "Euthanasie" wird oft auch als "dezentrale Euthanasie" oder "wilde Euthanasie" bezeichnet. Dazu gehört u.a. die "Aktion Brandt", die zur Schaffung von Ausweichskrankenhäusern diente. Außerdem gab es die Ausbildung regionaler Tötungszentren (Hadamar, Meseritz-Obrawalde). Seit 1943 kommt eine zentrale Medikamentenvergabe hinzu. Tod durch Medikamente, Gift und Hunger (hier z.B. der bayerische Hungererlass vom Nov.1942) mit mehreren 10.000 Opfern. Das Hungersterben war auch verursacht durch die Verringerung der Kostsätze seit den 1930er Jahren. Insgesamt ist die genaue Opferzahl unbekannt. Während es vorher bei der "Aktion T4" noch Meldebögen gegeben hatte, war dies bei der dezentralen Aktion nicht der Fall. Der Stopp der "Aktion T4" war nach Götz Aly und auch Ernst Klee eher ein strategischer Stopp. Es hatte viele Widerstände gegeben, z.B. die Gedenkschrift von Pastor Braune im Jahr 1940, dann vor allem auch die Predigt des Kardinals von Galen. Dieser schaffte erstmals Öffentlichkeit. Diese Predigt erzielte eine große Breitenwirkung und war auch in Rom bekannt. Der polnische Untergrund wollte sie damals übersetzen.  
  • Samstag, 6. Juni 2015 - Sozialzentrum des Sächsischen Krankenhauses, Großschweidnitz
  Dr. Holm Krumpolt: Von der Sächsischen Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz zum modernen Fachkrankenhaus Die Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz wurde 1902 eröffnet, in ländlicher Lage und erholsamer Umgebung. Früher war es ein Rittergut gewesen. - Viele gute Ideen entwickelten sich; ein Schwerpunkt war u.a. die Arbeitstherapie. - Die Jahre im 1.Weltkrieg waren Mangeljahre; 1917 lag die Mortalität bei 42,9%. In der Mitte der 20iger Jahre stieg die Bettenzahl auf über 700 an. Im 3.Reich erfolgte ein Niedergang der Anstalt, die im Rahmen der T4-Aktion auch als Zwischenanstalt genutzt wurde. Von 1939-44 wurden in 152 Sammeltransporten 6.726 Patienten nach Großschweidnitz verlegt. In der Phase der "zentralen Euthanasie" erfolgten diese Massenverlegungen nahezu ausschließlich zur späteren Verlegung in die Tötungsanstalten, hauptsächlich nach Pirna/ Sonnestein. Davon waren ca. 2500 Männer und Frauen betroffen. - In der Phase der "dezentralen Euthanasie" wurden ca. 5000 Patienten durch Medikamente, Mangelernährung und Vernachlässigung gezielt getötet. - Großschweidnitz kann daher im Grunde wie Meseritz-Obrawalde oder Hadamar zu den großen Tötungsanstalten gezählt werden. Außerdem gab es ab 1943 eine Kinderfachabteilung, in der ca 270 Kinder ermordet wurden. Nach dem Krieg wurden 2 Ärzte und 5 leitende Schwestern der Heil- und Pflegeanstalt 1947 zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. In der DDR wollte man nichts mit dem Thema "NS-Euthanasie" zu tun haben. Erst 1990 kam ein Gedenkstein. Noch in DDR-Zeiten herrschte eine starke Überlegung, und die Bausubstanz verfiel allmählich. Nach der Wende gab es dann eine stürmische Entwicklung.   Dr. Boris Böhm: Das Gedenkbuch für die sächsischen Euthanasieopfer - Ein Projekt der Stiftung Sächsische Gedenkstätten Die Arbeit am Gedenkbuch für Opfer aus Sachsen begann nach der Fertigstellung des Gedenkbuches für Pirna/ Sonnenstein im Nov. 2012 und wird noch ca. 2 Jahre dauern. Die Medikamenten-Euthanasie und das Hungersterben spielt dabei eine große Rolle.   Christoph Hanzig, M.A.: Die NS- Krankenmorde in Großschweidnitz - Ergebnisse der Probeerfassung der Großschweidnitzer Opfer Viele der Opfer in Großschweidnitz kamen aus den Heil- und Pflegeanstalten in Waldheim, Alt-Scherbitz und Tschadrass, Anders als es Götz Aly in seinem Buch "Die Belasteten" beschrieb, setzten sich viele der Angehörigen ein, meist jedoch ohne Erfolg.- Eine wichtige Rolle spielte Pfarrer Achs, der jeweils die Beileidsbriefe schrieb.   Josephine Kunze, M.A.: Heime und Pflegeeinrichtungen der Oberlausitz im Spiegel der NS-Krankenmorde - erste Ergebnisse Eine wichtige Frage war, ob die Bewohner in kleineren Heimen besser geschützt waren. Es gab: a. Altersheime und b. Versorgungsheime, die jeweils kommunal verwaltet wurden. Als Ergebnis ist festzustellen, dass die Bewohner in diesen kleineren Heimen nicht besser geschützt waren als in den Großeinrichtungen. Ab 1938 änderte sich die Wortwahl. Man sprach jetzt von "geisteskrank" und "asozial", und Altersheime wurden in die Meldebogenaktion mit einbezogen, wenn es dort "Geisteskranke" gab. In der Meldebogenaktion wurden ca. 800 Einrichtungen erfasst. Eine große Auswirkung hatte vor allem die Senkung der Pflegesätze, die erhebliche Auswirkungen auf die Insassen hatte.   Dr. Dietmar Schulze: Die Entwicklung Psychiatrischen Krankenhauses Großschweidnitz nach 1945 Die Untersuchung gehört mit zum Heidelberger Projekt, in dem neben Großschweidnitz drei weitere Heil- und Pflegeanstalten behandelt werden (für den Zeitraum vom 8.5.45 - 31.12.49). In Großschweidnitz gab es in der Zeit von 1945- 1955 insgesamt 17.337 Aufnahmen. Ein großer Treck kam in der Zeit vom 7.Mai - 16.Mai 1945 an. Von Juli 1945 an stand die Einrichtung unter sowjetischer Besatzung. Weiterhin kamen Flüchtlinge aus dem Sudetenland und Schlesien. - In manchen Monaten gab es bis zu 30 Todesfällen, auch noch bis 1955/ 56, wobei die Todesursache zum Teil unklar ist.   Besichtigung der Gedenkstätte Großschweidnitz [gallery ids="11750,11752,11751"]   Dr. Michael Wunder/ Dr. Gerrit Hohendorf:     Aktuelle bioethische Fragen: Der Appell gegen eine gesetzliche Erlaubnisregelung der ärztlichen Sterbehilfe Zu Beginn wurde das frühere Statement von Udo Reiter angeführt. Dieser führte vor seinem Selbstmord an, dass er nicht als Pflegefall enden wollte. Die weitere Frage war. Ist der Suizid ein Akt der Freiheit oder ein Akt der Verzweiflung. Derzeit gibt es ca. 100.000 Suizidversuche pro Jahr, mit ca. 10.000 Suiziden. Früher war die Zahl wesentlich höher. Dies ist vielleicht auch ein Ergebnis der Suizidpräventon. Eine öffentliche Berichterstattung wird oft vermieden, auch wegen möglicher Nachahmer. Bei Medikamenten sollten die Barrieren höher liegen, um die Tötung durch diese Mittel zu erschweren. In der Schweiz gibt es seit 2005 neue Regelungen bezüglich der Sorgfaltspflicht. - Es sei zu berücksichtigen, dass ein Angebot auch eine Nachfrage nach sich ziehen kann. Die Linke und auch Künast treten in Deutschland sehr emotional für die Sterbehilfe ein. - 75% der Personen, die Sterbehilfe wünschen, möchten nicht ins Pflegeheim. - Die Ärzte, die Sterbehilfe befürworten, sollten wegen der NS-Erfahrungen etwas vorsichtiger und bescheidener sein. Klaus Dörner verwies anschließend auf den Hausarzt von Goethe, Hufeland, der sich 1806 gegen Sterbehilfe wandte und ausdrückte, dass dann der Arzt zum gefährlichsten Mann im Staate werde. Bisher gab es im Bundestag 3 Anträge zum assistierten Suizid: 1. von der CDU (die ein Verbot fordert), 2. von Carola Reimann und Lauterbach, sowie 3. von Sitte (Die Linke) und Gudrun Künast. Der Arbeitskreis "Euthanasieforschung" hat dazu eine Erklärung vorbereitet, die vor der Abstimmung im Bundestag an alle Abgeordneten verschickt wird. Diese Erklärung wird von Gesundheitsminister Gröhe (CDU) unterstützt.  
  • Sonntag, 7.6.2015, Aula der Kreismusikschule Löbau
  Dr. Werner Brill, Dr. Ingo Harms: NS-Täterforschung im öffentlichen Diskurs Als Beispiel für den öffentlichen Umgang mit Tätern wurde Oscar Orth (1876-1958) angeführt. Er war seit 1922 Leiter des Landeskrankenhauses Homberg/ Saar, bis zu seiner Emeritierung 1947. In der Zeit von 1935-39 war er an Zwangssterilisationen beteiligt. Die Diagnose war oft "angeborener Schwachsinn" gewesen. Drei Phasen lassen sich im öffentlichen Umgang mit Orth unterscheiden: 1. Phase der Ehrungen: 1946 wurde ihm die Ehrenbürgerwürde der Stadt Ensheim (seinem Geburtsort) verliehen, 1948 erfolgte dort eine Benennung einer Straße (sowie eines Brunnens) nach ihm. 1957 erhielt er das große Bundesverdienstkreuz. 2. Phase (Diskussion): 1993 erschien eine Magisterarbeit über Zwangssterilisationen im Saarland, in der nachgewiesen wurde, dass Orth an zahlreichen Zwangssterilisationen selber beteiligt war. Das führte zu Diskussionen über die Rolle von Orth. 3. Phase (öffentliches Abrücken): 1993 änderte die Stadt Homberg den Namen ihres Preises von "Oscar-Orth-Preis" in "Wissenschaftspreis der Stadt Homberg". 1997 wurde die Oscar-Orth-Straße in Homberg (und 2001 in Ensheim) umbenannt. Die Ehrenbürgerschaft ist mit seinem Tod erloschen.   Ingo Harms: Zur Gedenkstätte in Wehnen (Oldenburg) Nach anfänglichen Planungen und der Unterstützung durch das Krankenhaus in Wehnen kam ein plötzlicher Stopp. Es war kein Geld mehr dafür da. - Andererseits erfolgte zu der Zeit die Gründung eines Museumsdorfes in Cloppenburg, das großzügig unterstützt wurde. Dieses Dorf ist inzwischen sehr bedeutend; kritische Forschung dort gibt es aber nicht. - Inzwischen gibt es eine Gedenkstätte auf dem Gelände der heutigen Karl-Jaspers-Klinik, die 1997 von Betroffenen bzw. von Angehörigen der damaligen Heil- und Pflegeanstalt gegründet wurde. Zur Forschung in Wehnen: Dort gab es ab 1934 eine starke Reduzierung der Fürsorgekosten von 3,1% auf 1,8%, so dass dadurch insgesamt sogar noch ein Überschuss von 40% erzielt wurde. Die Ökonomie stand für die Heil- und Pflegeanstalt ganz im Vordergrund. Zur weiteren Situation in Niedersachsen: Als einziges Bundesland hat Niedersachsen keine Landeszentrale für politische Bildung mehr (sie wurde von Christian Wulff abgeschafft). Dafür gibt es aber die Stiftung niedersachsischer Gedenkstätten, die jedoch keine Forschung zur NS-"Euthanasie" betreibt.   Dr. Klaus Dörner: Euthanasiegedanken nach einer Rumänienreise heute     Bei der Betrachtung sei ein längerer "historischer Atem" nötig. Seit 1800 gibt es den Verwertungsgedanken. Auch ginge es dabei um Leistungssteigerung. Klaus Dörner erinnert an den Arzt Hufeland, der damals ausdrückte, dass der Arzt zum gefährlichsten Mann im Staate werden könnte. Er bezog sich dabei auf die Sterbehilfe. Später - im 1. Weltkrieg gab es ca. 70.000 Tote unter den Insassen von Pflegeeinrichtungen. Ein wichtiger Grund dafür war, dass die Rationen in diesen Einrichtungen geringer waren als für andere. Die Ausgrenzung von Menschen sei eine Erfindung der Psychiatrie, was in guten Zeiten kein Problem sei. Allerdings sei schon dies eine "soziale Euthanasie", was dann bei den Nazis zur "biologischen Euthanasie" wurde. Dort habe es mit der Hungerkost eine Art "sozialverträgliches Frühableben" gegeben. In Gütersloh habe man daher das Landeskrankenhaus weitgehend aufgelöst. Viele haben den Heimaufenthalt gar nicht benötigt. Vor 25 Jahren folgten ähnliche Schritte in den Alsterdorfer Anstalten (Hamburg) und in Ravensburg. - In Rumänien habe es die Züchtung des sozialistischen Menschen gegeben. Heute hat sich dort aber viel verändert. Es gäbe auch Schlösser und Klöster, in denen Behinderte leben, auch in abgelegenen Gebieten. Auch gäbe es inzwischen die Entwicklung, dass viele in einer eigenen Wohnung leben.   Dr. Helga Bose: Die NS-Euthanasie im Gau Thüringen. Von der Einrichtung der gesetzlichen Voraussetzungen zur Durchführung der "Euthanasie" bis zur Durchführung der "T4- Aktion" Sie gab einen kurzen Überblick über Maßnahmen zur Zwangssterilisation und NS-"Euthanasie" im Gau Thüringen in der Zeit von 1938- 1945. - Etwa 790 Insassen von thüringischen Heilanstalten wurden nach Sachsen verlegt, meist in die Zwischenanstalt Tschadraß. Ein Transport von der LHA Hildburghausen ging mit 124 Insassen direkt in die Tötungsanstalt Pirna/ Sonnenstein. Wichtigster Gutachter für die "Euthanasie-Patienten" im Gau Thüringen war Prof. Hans Berger, der auch Antragsteller und Beisitzer am Erbobergesundheitsgericht Jena gewesen war. Bis zu seiner Erimitierung im Okt. 1938 war er Leiter der Psychiatrie-Klinik in Jena. Diese Klinik trägt noch heute seinen Namen.   Dr. Sabine Hiekisch: Kinder- und Jugendpsychiatrie als Spiegel der Gesellschaft - Ein Erfahrungsbericht Zu DDR-Zeiten gab es noch keine eigentliche Kinder- und Jugendpsychiatrie in Großschweidnitz (obwohl diese offiziell den Namen "Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie" seit 1967 trug). Es bestand eher eine Ablehnung dagegen. Auch die NS-Euthanasie" war in der DDR kein Thema, lange Zeit wurde sie tabuisiert. Erst gegen Ende der DDR setzte eine Auseinandersetzung dazu ein. In der DDR gab es besondere Probleme: Wer förderungsunfähig bzw. bildungsunfähig war, kam in die Psychiatrie. Viele Angehörige gaben ihre Kinder ab und fragten nicht viel. - Nach der Wende wurden dann alle Kinder und Jugendlichen wieder förderungswürdig. Allerdings gab es neue Probleme. Viele Eltern konnten mit der neuen Freiheit nicht gut umgehen. Teilweise standen sie morgens nicht auf oder überließen ihren Kindern viele Entscheidungen. Auch hier setzte erst langsam ein Lernprozess ein.   Udo Dittmann (Oktober 2015)    

Ein Denkmal im Winter

$
0
0

IMG_20160107_154133

"Gleichmacher" nannte  Sarah Kirsch den Schnee und in der Tat verwischt er die Konturen selbst so markanter Stadträume wie des Gedenk- und Informationsortes für die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde in Berlin. Die Stadtreinigung ist aufgehalten, und so ergreift die ganz Berlin erstickende und kurz nach Silvester besonders sichtbare Vermüllung auch diesen Ort. Dazu kommt noch die Grausamkeit der Natur, die einen Vogel gegen die das Denkmal konstituierende blaue Glaswand fliegen und das Genick brechen lässt. Auch die Touristen lassen ab von diesem Ort. Die Information zu dem Schrecklichen, das an diesem Ort geplant wurde, bleibt für ein, zwei Tage ungelesen unter einer dünnen Schneeschicht verborgen.   [gallery columns="4" ids="11995,11991,11992,11993"]   Alle Fotos CC0  

“Zeigt das Leben!”– Theater und Erinnerung

$
0
0

Wir starten eine kleine Reihe dazu, wie das Theater dazu beitragen kann, die Erinnerung an NS-”Euthanasie” und Zwangssterilisationen wach zu halten. Den Anfang macht Michael Stacheder mit seinem Plädoyer, das Leben zu zeigen, nicht das Töten und Sterben. Demnächst kommen zwei weitere Texte, die im Zusammenhang mit dem Theaterwettbewerb andersartig gedenken on stage entstanden sind. Dieser wird von der Stiftung Erinnerung-Verantwortung-Zukunft gefördert.

 

 Zeigt das Leben!

Wie das Theater die zukünftige Erinnerungsarbeit bereichert.
von Michael Stacheder, Junges Ensemble Schauspiel München

 

Ich bin kein großer Fan von hohen Stelen oder monströsen, geometrischen Denkmälern, die eher aufgrund ihrer modernen Architekturkunst für Aufsehen sorgen, als dass sie zum Weiterdenken und zum Weitertragen der Geschichte anregen. Ein bloßes Denkmal, in den meisten Fällen nur durch eine mit den nötigsten historischen Daten und Fakten bestückter Gedenktafel ergänzt, ist starr, unbeweglich, kalt. Das Denkmal mahnt, es setzt nur schwer etwas in Bewegung. Es kommt nichts in Gang. Es bleibt stehen, verharrt in ihrer beeindruckenden Architektur aus Beton, Glas oder Stein. Für mich hat “Erinnern” sehr viel mit Bewegung und Austausch zu tun. Der Prozess eines heutigen “Erinnerns für die Zukunft” muss lebendig und emotional gestaltet werden.

 

Um so mehr überzeugt und freut mich der Theaterwettbewerb andersartig gedenken on stage für Schul- und Amateurtheatergruppen, denn er macht das Erinnern emotional greifbar. Ein wichtiges Projekt, welches neue Wege in der Erinnerungsarbeit für die Zukunft auslotet und beschreitet.
Für mich ist das “Erinnern” an die nationalsozialistische Diktatur und die damit verbundenen Gräueltaten und Massenmorde mehr als ein “mahnen”, sondern viel mehr ein “weitergeben”, ein “weitertragen” und ein weiterdenken” bis in die Gegenwart hinein. Mahnen hat für mich immer sehr viel mit “schlechtem Gewissen” zu tun und ein “schlechtes Gewissen” muss die junge Generation, der ich mit meinen 35 Jahren ebenfalls noch angehöre, nicht mehr haben. “Schlechtes Gewissen” lähmt den kritischen Umgang mit der Geschichte. “Schlechtes Gewissen” lähmt auch den kreativen Umgang mit dem Erinnern, den wir in den nächsten Jahrzehnten so dringend benötigen. Wir können nichts für die Taten der letzten Generationen. Aber wir haben die Verantwortung, dass die Taten und die Opfer die sie forderten, nie in Vergessenheit geraten.

 

Während ich an diesem Text arbeite, entdecke ich das Buch von Philip Meinhold, welches in diesem Jahr erschienen ist. Philip Meinhold erzählt in seinem Buch von der Auseinandersetzung dreier Generationen einer deutschen Familie mit der Shoah und der eigenen Vergangenheit. Er gibt seinem Buch ganz treffend den Titel: “Erben der Erinnerung”.

 

“Wir, die Zeitzeugen, sind nicht nur Zeugen der Zeit, sondern auch Zeugen auf Zeit. Unsere Pflicht ist es, weiterzugeben, was gewesen ist.”
(Max Mannheimer)

 

Ja, wir sind die Erben der Erinnerungen einer Kriegs- und Nachkriegsgeneration, die sich bis in die späten 1980er Jahre schwer tat, mit dem Erlebten umzugehen, darüber zu sprechen, sich mitzuteilen. Aber weniger sind wir Nachlassverwalter, als lebendige Übermittler der Erinnerung. Ich meine damit nicht die historischen Fakten zu verändern, zu beschönigen oder gar wegzulassen, nur um sie erträglicher zu machen. Nein. Wir müssen die Erinnerungen, die uns Zeitzeugen wie Max Mannheimer, Ruth Klüger oder Esther Bejarano in den letzten Jahrzehnten hinterlassen, annehmen, bewahren und ohne sie zu verfälschen weitererzählen. Das Gut der Erinnerung wird von Generation zu Generation weitergegeben. “Letztlich versagt unser Sprachvermögen, wenn wir über das “Unsägliche” wie Theodor Adorno es nennt, sprechen wollen.”, so Max Mannheimer in seiner Rede anlässlich des Gedenktages “Jom Haschoa” an die Opfer des Holocaust 1999.

 

“Jede Generation muss für sich das Erinnern neu formulieren”.

 

Die Zeit der Zeitzeugen wird in wenigen Jahren zu Ende gehen. Die Stimmen der Zeitzeugen werden verstummen. Was machen wir mit den vielen offenen Fragen der Generationen nach uns? Können wir sie überhaupt guten Gewissens beantworten? In den letzten Jahren hat man versucht, die Stimmen der Zeitzeugen der Shoah, der NS-Greultaten wie der sogenannten NS-”Euthanasie” oder der Verfolgung von Homosexuellen und Sinti und Roma zu archivieren. In unserer fortgeschrittenen, digitalisierten Welt kein großes Unterfangen. Doch reicht das? Kommt uns mit dem Ende der Zeitzeugen nicht etwas ganz Entscheidendes abhanden? Was zeichneten die direkten Lebenserzählungen der Zeitzeugen so besonders?
Es war diese unmittelbar spürbare Emotionalität, die von dem Gegenüber ausging, die uns zutiefst beeindruckte und zugleich verstörte. Diese Emotion wird in digitaler Form nur bedingt und begrenzt übertragbar sein.

 

“Theater ist emotionales Erinnern.”

 

Das Theater wird nach der “Zeit der Zeitzeugen” einen festen Platz innerhalb der Erinnerungskultur einnehmen und diesen festigen. Das deutschsprachige Theater versuchte in den Nachkriegsjahren bis heute immer wieder aufs Neue, die unfassbaren Geschehnisse der nationalsozialistischen Diktatur für die Gegenwart zu thematisieren und aufzuarbeiten, sowie Stücke über den Widerstand auf die Bühne zu bringen.
Aber kann man z.B. einen Schreckensort wie das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau realistisch auf die Bühne bringen? Nein, man kann es nicht. Das “Unsägliche” würde zu unsäglichem “Holocaust”-Kitsch verblassen. Das “Unaussprechliche” würde mit aller Gewalt zurückschlagen. Man muss es auch nicht. Die Bilder, die wir alle aus den unzähligen Dokumentationen und Gedenkausstellungen kennen, sind in uns präsent genug, um Assoziationen herzustellen. Viel mehr geht es darum, das Publikum, den Zuschauer und Zuhörer, emotional zu berühren. Assoziationsflächen für die Phantasie des Publikums zu schaffen, um Geschichte erlebbar werden zu lassen.
Der Großteil meiner bisherigen Regiearbeiten hat das Erinnern an diese dunkle Zeit des 20. Jahrhunderts bestimmt und maßgeblich beeinflusst. Was vor elf Jahren mit der Uraufführung eines Schauspiels über die Münchner Widerstandsgruppe “Die Weiße Rose” seinen Anfang nahm, setzte sich mit der Beschäftigung des Schicksals von “Mala und Edek” fort und nahm 2014 die Fortsetzung mit der “Judenbank”, einem Volksstück, indem der Protagonist am Ende Opfer der sogenannten T4-Aktion der Nationalsozialisten wird: Theater als emotionales Erinnern.

 

Zeigt das Leben!

 

Als ich gefragt wurde, was würden sie den Teilnehmern des Wettbewerbs andersartig gedenken on stage mit auf dem Weg geben, antworte ich spontan: Sie sollen das Leben zeigen! Ja, zeigt das Leben! Zeigt nicht das Sterben, das Töten. Das Ende ist uninteressant. Erzählt die Lebensbiografien nicht vom Ende ausgehend, sondern erzählt vom Leben.
Jedes einzelne Leben der ca. 300.000 Opfer der NS-”Euthanasie” ist es wert auf die Bühne gebracht zu werden.

 

Es geht nicht darum, irgendein voyeuristisches Gefühl der Zuschauer zu befriedigen. Das Töten und Sterben liest sich in den Protokollen zu den T4-Aktionen, den Akten und Briefen immer gleich. Das behördliche Töten der Nationalsozialisten war ein unmenschlicher, lapidarer Vorgang, der im stillen, ohne viel Aufsehens zu erzeugen, vollzogen wurde.

 

Die Stücke, die aus den zur Verfügung gestellten Lebensbiografien entstehen werden, müssen das Leben zeigen. Das Theater ist ein wunderbares Mittel, welches Brücken zwischen den Welten baut, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen fremden und eigenen Lebensgeschichten. Den Schauspielern meiner Weißen Rose-Inszenierung habe ich jeden Tag während den Proben folgendes zugerufen: “Zeigt nicht das Fallbeil! Hinterfragt die Protagonisten! Geht kritisch mit ihnen um! Zeigt sie als Menschen, mit ihren Fehlern und Abgründen. Zeigt sie mit ihrem Idealismus und ihrer Naivität! Zeigt sie mit ihrem starken Willen, etwas zu verändern. Lasst sie kämpfen, mit sich und der Welt. Lasst das Fallbeil nicht das ganze Stück über allem schweben. Zeigt das Leben, das bewegt mich als Zuschauer mehr als alles andere.”

 

Das Theater darf und muss von Menschen erzählen, von ihren Sehnsüchten, ihren Hoffnungen und Wünschen, ihren Ängsten und Träumen, ihrer Wut und Ohnmacht, ihrer Verzweiflung. So wird für die Zuschauer greifbar, dass es Menschen wie “Du und ich” waren. (Dies gilt ebenso für mögliche Täter-Figuren!) Es gilt, die Lebensdaten und Fakten mit Leben zu füllen. Vieles wird man aus den vorliegenden Archivmaterial bestimmen und nachvollziehen können, einiges wird im Unklaren bleiben. Die biografischen “Leerstellen” können aber auch behutsam mit Hilfe der Rollen- und Biografiearbeit ergänzt werden. Das erfordert eine hohe Sensibilität und Empathie. Aber nur Mut, im Laufe der Beschäftigung mit den einzelnen Lebensbiografien werden die “Protagonisten” zu sprechen beginnen:

 

Durch diese fiktive Ergänzungen gibt man ihnen vielleicht sogar ein wenig Würde und Leben zurück, um das man sie durch das mörderische Verbrechen beraubt hat.

 

Es gibt viele Methoden der Rollen- und Biografiearbeit. Wichtig ist bei historischen Stückentwicklungen, dass man die vorhandenen Quellen genauestens prüft, historisch belegbare Fakten berücksichtigt und diese korrekt wiedergibt, sowie in die Charakterisierung der Figuren einarbeitet. Biografische Eckdaten und charakteristische Eigenschaften ergeben eine Persönlichkeit.

 

Damit die Findung der jeweiligen Figur für die Darstellenden eine spannende und bereichernde Entdeckungsreise wird, sollte man eines nicht aus dem Auge verlieren: alles ist ein (Theater) Spiel! Wir bauen Empathie zu den Protagonisten der Opferbiografien auf, verlieren uns aber nicht in unseren Emotionen und Gefühlen. Darauf sollte und muss geachtet werden. So sollte trotz aller Ernsthaftigkeit vor allem bei den Proben der Humor nicht zu kurz kommen und nach schwierigen, oftmals sehr emotionalen Szenen hilft z.B. ein Nach-Gespräch bei einem gemeinsamen Ensemble-Essen. Der Austausch hilft dem Einzelnen besser mit den “Erfahrungen des Erinnerns” umzugehen und gleichzeitig entwickelt das Ensemble ein Gefühl von Zusammengehörigkeit.

 

Die Entwicklung der Rollenbiografie kann man nicht kreativ genug angehen. Neben den historischen belegbaren Fakten ist es die eigene Phantasie und das Einfühlungsvermögen des Einzelnen, welche die Figur auf der Bühne zu neuem Leben erwachen lässt. Der Autor des Stücks, die Schauspieler und der Regiesseur geben den Opfern ihre Stimme.

 

Wie ich schon erwähnte, gibt es viele Methoden die Rollenbiografien zu entwickeln. Jeder Schauspieler, Regisseur entwickelt im Laufe seines Berufslebens seine ganz eigene, persönliche Methode, um die Figuren lebensnah auf die Bühne zu bringen. Es sind die einfachen Dinge, die eine Rolle lebendig werden lässt. Wie hat die Rolle/der Mensch gelebt? Wie hat er neben seiner Arbeit sein Leben gestaltet? Was hat er gerne unternommen? Hat er gerne gelesen? Falls ja, was hat er gelesen? Welche Musik hat er gerne gehört? Ging er gerne in Konzerte? Welches war sein Lieblingsessen und warum? Welche Geschichte verbindet er mit seinem Lieblingsgericht? Einfache Fragen, die uns eine ganze Welt eröffnen, denn aus den Fragen ergeben sich Antworten und daraus wieder neue Fragen. Am Ende werden wir gar nicht mehr aufhören können zu fragen.

 

Diese Findungsphase kann man auch ganz kreativ gestalten. So gibt es z.B. seit einigen Monaten in den Sozialen Medien eine Aktion, die immer am 12ten eines Monats stattfindet: #12von12.* Blogger dokumentieren fotografierend ihren ganz persönlichen 12ten Tag im Monat und posten im Laufe des Tages 12 Fotos mit kleinen Notizen, Anmerkungen, Geschichten auf Instagram, Twitter oder Facebook. Deshalb auch der Hashtag #12von12. Hier könnte man sich z.B. Anregungen für seine eigenen Biografien zusammensuchen oder wie wäre es, wenn man selber als “Rolle” einen Tag dokumentieren würde? Wie hätte ein Tag für die Rolle ausgesehen? Ein spannender, wie kreativer Versuch sich an eine Rollenbiografie anzunähern.

 

Auch gibt es die Möglichkeit, sich über Porträtaufnahmen oder Familienaufnahmen an das Leben der Protagonisten anzunähern. Wenn z.B. Bilddokumente vorliegen, welche die Protagonisten zusammen mit ihren Familien zeigen, empfiehlt es sich unter anderem die Körperhaltung der Protagonisten zu studieren, um sie so später ins Spiel auf der Bühne integrieren zu können. Die Bilder verraten daneben sehr viel aus dem Alltagsleben der Menschen. Daraus können sich viele Geschichten oder Szenen entwickeln, welche wiederrum die Stückentwicklung als Ganzes bereichern.

 

Ich wünsche den Teilnehmern des Theaterwettbewerbs andersartig gedenken on stage viele spannende, emotionale Momente des Erinnerns und ein großes Toi Toi Toi für ihre Arbeiten.

 

Geht auf Spurensuche!

 

Michael Stacheder
14. Dezember 2015

 

weiterführende Informationen:
draussennurkaenchen.blogspot.de

 

 

Landkarte des Gedenkens an die “NS-Euthanasie” am 27.1.2016

$
0
0

Der 27.1. ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Er wurde im Januar 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog proklamiert und auf den Tag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz gelegt. Wir haben eine Karte erstellt, auf der alle Veranstaltungen, die an Opfer der NS-”Euthanasie” und Zwangssterilisationen erinnern, eingetragen sind.

 

Ergänzungen und Berichtigungen gerne an robert.parzer@gedenkort-t4.eu.

 

Viewing all 200 articles
Browse latest View live